Brutale Tristesse – „Longlegs“ von Osgood Perkins
Schlussendlich fällt Oz Perkins und sein Longlegs wohl ein bisschen der viel diskutierten, genialen Marketing-Kampagne und des daraus resultierenden Hypes zum Opfer. Andererseits freut es mich um die Aufmerksamkeit für einen der interessantesten Filmemacher gegenwärtigen Genrekinos, der mit seiner Serienkiller-Iteration nun auch erstmals über Liebhaber-Kreise hinaus rezipiert wird. Und für ein gutes Drittel hält Longlegs auch das Versprechen an einen okkult verstrahlten, entrückten Serienkillerfilm, in dessen weitwinkligen Einstellungen jede Menge Platz für die eigene Paranoia bleibt. Perkins gibt uns Optionen: zum hinschauen, zum wegschauen, zum suchen, am äußersten Bildrand, in den blassesten Schatten. In seiner Offenheit ist Longlegs beklemmend, in dem, was er sichtbar macht, wird er furchteinflößend. Mit der somnambulen Maika Monroe als Agent Lee Harker begeben wir uns auf die Spurensuche, nur um später zu erkennen, das wir an Fäden geführt wurden.
Die Puppenspieler gibt Perkins zum merkwürdig angeklebt wirkenden Finale allerdings allzu willfährig preis, dabei hätte diesem atmosphärischen Satanic-Panic-Krimi ein mehrdeutiges Ende so viel besser gestanden. So bleibt eine beeindruckende Stilübung, deren ästhetische Referenzen nicht bei den oft genannten Se7en, Zodiac oder The Silence of the Lambs liegen, sondern eher im dokumentarischen True Crime-Format der Achtziger- und Neunzigerjahre – inhaltlich ließ sich Perkins beispielsweise vom ’96er-Mordfall an JonBenét Ramsey inspirieren. Die distanzierten, klar kadrierten Einstellungen besitzen dokumentarischen Charakter, die durch Einblendungen von vermeintlich authentischen Foto- und Audioaufnahmen zusätzlich unterstützt werden. Auch die weißen Häuser mit ihren weißen Zäunen, die merkwürdig sterilen, immergleichen Innenräume, in denen ein gerahmtes Präsidentenfoto die jeweilige Dekade anzeigt, knüpfen eher an eine Fernsehästhetik als die großen Kinobilder des Serienkillerfilms der Neunzigerjahre an.
Die Vororte in Longlegs haben in ihrer Gleichförmigkeit etwas gespenstisches. Alles liegt unter einer grauen Wolkendecke begraben, die sich nur durch vereinzelte Blitze erhellt. Gleichsam strahlt die brutale Tristesse dieser grauen, sterilen Welt auf seine Figuren ab. Da ist der autistische Eisklotz Harker und der um Haltung bemühte FBI-Vorgesetzte Carter (Blair Underwood): es menschelt nicht zwischen diesem vermeintlich inkompatiblen Duo, das einzig allein die Suche nach einem Mörder eint. Sie sind das behördliche Inventar einer apathischen Gesellschaft, die nur von den exzentrischen Gefühlswallungen eines Longlegs (Nicolas Cage) erschüttert wird und dessen Gewalt wie ein Blitz in die graue Tristesse hineinfährt. Am Ende ist Nicolas Cage als blasser Manson-Verschnitt ironischerweise der einzige Mensch in diesem Film, der noch Gefühle zeigt.
Header: © Neon