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Magazin für Filmkritik

Cringe – „Der Wald vor lauter Bäumen“ von Maren Ade

Der Wald vor lauter Bäumen von Maren Ade

Cringe, aber ohne die Lacher. Dafür mit der ganzen, niederschmetternden, alltäglichen Realität menschlicher Vereinzelung. Melanie (Eva Löbau) sucht Anschluss, aber findet nur Ablehnung – zumindest dort, wo sie sich Zuneigung erhofft. Auf die offensichtlichen Avancen eines Lehrerkollegen (Jan Neumann) kann oder will sie nicht eingehen, stattdessen fixiert sie sich auf eine Nachbarin (Daniela Holtz), deren Freundin sie gerne wäre. Dabei ignoriert sie jede soziale Konvention und übersieht jede Geste symbolischer Grenzziehung. Eva Löbau hat die Seltsamheit, den Cringe ihrer Figur, bis in die letzte Pore internalisiert und stattet sie zugleich mit einer reizvollen Ambiguität aus. Irgendwie ist diese idealistische, offene Lehrerin sympathisch, zugleich bereiten ihre wiederholten Versuche sozialer Annäherung Unbehagen. Zum zehnten Mal an der Haustür jener zu klingeln, die offensichtlich kein Interesse an einer tieferen Beziehung haben – das erfordert Beharrlichkeit, oder Blindheit, oder vielleicht eher … Verzweiflung? Maren Ade versteht es wie keine andere deutsche Regisseurin diese unangenehme, weil realistische Sphäre sozialer Interaktion auszuloten, die einen gleichzeitig vor Fremdscham erstarren und vor Traurigkeit zerlaufen lässt.

Melanies Versuche, Freunde zu finden und sich ein Leben in einer fremden Stadt aufzubauen sind manchmal cringe, manchmal profan, aber in der Ausdauer ihrer Suche nach Anschluss vor allem herzzerreißend. Ades Humor ist wie eine semipermeable Membran, hinter der sich stets die nackte Verzweiflung abzeichnet. Jeder Akt der Kontaktaufnahme, jede ausgestreckte Hand, jedes einladende, schüchterne Lächeln sind immer auch grundiert von der Angst, abgelehnt zu werden. Darum ist das Ende dieser Geschichte, das Ende unserer Geschichte mit dieser Figur, auch so ein magischer Filmmoment: gerade jene Figur, die den ganzen Film so angestrengt versuchte, sozial anschlussfähig, sozial „verträglich“ zu sein und dabei jede Geste der Distanzierung übersah, kommt dazu, einfach mal loszulassen. Melanie schnallt sich also ab, begibt sich auf den Rücksitz, wo sie die Fensterscheibe hinunter- und den Fahrtwind hineinlässt und blickt lächelnd hinaus in den Wald und die Bäume und die Sonne, die flackernd durch das Geäst bricht. Und das Auto fährt führerlos weiter, hält die Spur wie durch Magie, Filmmagie eben, weil das hier möglich ist. Und hier beginnt das Kino.


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