Das beschissene Mittelalter – „Flesh + Blood“ von Paul Verhoeven

Beim Titel vermutete ich reinste Mittelalter-Exploitation – doch Flesh + Blood ist keine reine Exploitation. Stattdessen zeigt Verhoeven das Mittelalter lediglich in seiner ganzen, ausbeuterischen, asozialen Niederträchtigkeit. Wir folgen dabei einer Gruppe Söldner (derangierte Drecksschweine, darunter Prostituierte und ein mordender Prediger), die sich nach der erfolgreichen Rückeroberung einer italienischen Stadt von ihrem Auftraggeber, dem Feudalherren Arnolfini (Fernando Hilbeck), um ihr Raubgut betrogen sehen und ihn daraufhin in einem Hinterhalt überfallen. Dabei entführen sie (aus Versehen) die adelige Jungfrau Agnes (Jennifer Jason Leigh), die mit Arnolfinis Sohn Steven (Tom Burlinson) vermählt werden soll. Was nach Robin Hood klingt, hat höchstens auf der Beschreibungsebene etwas damit zu tun. Denn unsere Gruppe Drecksschweine hat rein gar nichts von der moralischen Strahlkraft des edlen, englischen Räubers. Während Hood die Entrechteten rächt und ihnen zurückgibt, was ihnen genommen wurde, sind es bei Verhoeven die Entrechteten selbst, die das Recht in die eigene Hand nehmen.
Jeder gegen jeden
Flesh + Blood blickt auf das Mittelalter nicht durch die rosarote Brille von Mythen, Legenden und moralischen Märchen, sondern eröffnet eine dezidiert klassenkritische Perspektive auf das Mittelalter und seine Machtverhältnisse. Hier rächen sich diejenigen, die in den Feldzügen der Mächtigen ihr Leben riskieren und nichts dafür zurück bekommen. Und sie tun es auf die widerwärtigste Art, indem sie sich rücksichtslos durch diese staubige, karge Welt morden, brandschatzen und vergewaltigen. Apropros: vergewaltigen. Wir müssen über die Vergewaltigungsszene sprechen, die eindrucksvoll zeigt, wie furchtlos sich dieser Film über alle Grenzen des guten Geschmacks hinwegsetzt, ohne sich im Selbstzweck zu verraten. Nur wenige Regisseure haben die Eier, eine solche Szene abstoßender, sexueller Gewalt in einer Geste der Ermächtigung münden zu lassen und nur wenige Schauspielerinnen (Leigh) haben die Eier, sich ihr auszusetzen (Leigh beschwerte sich später über die Zensur der Szene).



Es ist eine Schlüsselszene, die klar macht: Agnes tut alles, um zu überleben. Und: sie ist nicht schwach. In der Folge arrangiert sie sich mit dem Umständen und ihrer Rolle in der Gruppe, indem sie die Begehren des Anführers Martin (auch ein Drecksschwein: Rutger Hauer) gezielt ausnutzt. Denn darauf läuft alles in diesem Film hinaus: Systeme von Ausbeutung. Jeder gegen jeden. So wie die Gruppe marodierender Drecksschweine von Arnolfini verarscht wurde, verarschen sie andere und sich gegenseitig, und ihr loser, solidarischer Verbund löst sich auf, sobald der Einzelne eine Chance sieht, sich zu bevorteilen. Verhoevens Mittelalter ist eine Art Mad-Max-Feudal-Kapitalismus, in dem die feinen Gesten der Oberklasse (Messer und Gabel, eine Verbeugung, ein Handkuss), nur genau das sind: opportune Gesten, die die überbordende Gewalt ihrer Herrschaft zu verschleiern suchen; vorgetäuschte Zivilisiertheit, wo nur Eigennutz und Triebbefriedigung an erster Stelle steht.
Schwaches Licht
Trotz dieser düsteren Zeitbeschreibung installiert Verhoeven neben all diesen Arschkrampen einen neugierigen, jungen Helden in der Geschichte. Steven ist dabei nicht der klassische, Schwert-schwingende Held der Hollywood’schen Mittelalter-Fiktion, sondern ein Erfinder und Wissenschaftler. Er ist quasi ein Vorzeichen der Aufklärung, anknüpfend an Vorbilder wie Leonardo Da Vinci. Und auf eine eben solche Weise begegnet er auch den Herausforderungen, die sich ihm stellen: mit Erfindungsgeist und Werkzeugen, nicht mit roher Waffengewalt. Er reiht sich dabei nahtlos in ein Figurenensemble ein, in dem jeder nachvollziehbar und seinem Wesen nach handelt. Im Feudalkapitalismus des Mittelalters kämpft jeder für sich und jeder auf seine Weise, sei durch sexuelle Gefälligkeiten (Fleisch – Agnes), rohe Gewalt (Blut – Martin) oder Erfindungsgeist (Steven). Steven ist die idealisierte Figur, die aus diesem düsteren Kapitel der Geschichte irgendwie herauszuweisen scheint und kleine Schritte des Fortschritts markiert (Pestbeulen aufschneiden, keinen Aderlass mehr!). Und Verhoeven, bei allem niederschmetternden Zynismus, glaubt an diesen Fortschritt.
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