Das Böse im Menschen – „The Keep“ von Michael Mann

1941 besetzt ein Trupp der Wehrmacht unter der Führung von Hauptmann Klaus Woermann (Jürgen Prochnow) zur Sicherung eines Gebirgspasses ein rumänisches Dorf sowie die anliegende, mysteriöse Burg – hierbei handelt es sich um eine Art brutalistische Bunkerversion von Draculas Schloss, die direkt in das karpatische Bergmassiv eingelassen wurde. Kreuze zieren die kalten Wände. Merkwürdige architektonische Winkel werfen krude Schatten. Niemand weiß, wem der Bau gehört oder wer ihn einst errichtet hat …
„This is not a fortress. A soldier could walk up the outside wall. Why are the small stones on the outside and the large stones here in the interior? It’s constructed… backwards. This place was not designed to keep something… out.“
Danach ist eigentlich klar, wie The Keep ungefähr weiter verlaufen wird. Es wird etwas geweckt, das besser nicht geweckt worden wäre und ein Soldat nach dem anderen wird dem namenlosen Bösen zum Opfer fallen. Das stimmt alles, ist zum Glück aber auch vollkommen egal. Denn zu wissen, was passiert, ersetzt nicht die Erfahrung, die The Keep ist – ein im besten Sinne des Wortes entrückter Synthesizer-Albtraum (Tangerine Dream) in Schwarz und Blau, jenseits klarer Genrezuschreibungen. Filmemacher wie Panos Cosmatos oder Nicolas Winding Refn dürften in diesem zweiten Langfilm von Michael Mann die Blaupause für ihr psychedelisches Lensflare-Kino gefunden haben, inklusive all der Auslassungen und Leerstellen, die Mann noch unfreiwillig, nämlich von Studioseite, in seine Erzählung gerissen wurden. 210 Minuten lang soll sein ursprünglicher Director’s Cut gewesen sein. 90 teils konfuse, teils inkohärente Minuten sind geblieben. Selbst von der 120 Minuten langen Überarbeitung wurden nach der negativen Resonanz aus Testvorführungen weitere 30 Minuten gekappt. Eine fatale Studio-Intervention, die The Keep das an Kohärenz und Verständlichkeit raubt, was es ihm an filmhistorischer Faszination beibringt.
Denn bei allem Style und allen spürbaren Verkürzungen ist The Keep kein Film ohne Substanz. Der Zweite Weltkrieg dient hier nicht bloß als eine historische Kulisse, sondern seine humanistischen Verwerfungen bilden den thematischen Kern der Erzählung. Im Angesicht der Vernichtungslager kann es kein größeres Übel geben als den Menschen selbst. Was auch immer also in diesen Bergen all die Jahre eingesperrt war, muss im Angesicht der Korruption und Kleingeistigkeit des Menschen notdürftig verblassen. Es lässt sich aber auch darüber diskutieren, ob das in der Burg festgehaltene Urböse Molasar (erst Rauch, dann Muskelberg, Design von Comic-Künstler Enki Bilal) nicht selbst eine Verkörperung all des Schlechten im Menschen ist. Ein Schlechtes, mit dem der verfolgte Jude Dr. Cuza (Ian McKellen) unter dem Eindruck der Konzentrationslager stehend, zuerst bereitwillig kooperiert, weil es verspricht all jene auszulöschen, die ihren Anteil an der Judenverfolgung haben. Erst zum Ende, als er beinahe seine Tochter für Molasar opfert, erkennt er, dass diese Kooperation auch sein Herz korrumpiert. Seine Abkehr von jener Macht, die ihm neue Jugend geschenkt hat, liest sich wie eine zweite Chance für die Menschheit, die sich nun gegen die Verführungskräfte des Bösen, gegen die Korruption, das Machtkalkül, die unterdrückerischen Überlegenheitsfantasien stellt (man wird ja noch träumen dürfen).
„It’s a psychotic fantasy to escape the weakness and disease you sense in the core of your souls! You have scooped the most diseased psyches out of the German gutter! You have released the foulness that dwells in all men’s minds! You have infected millions with your twisted fantasies! And from the millions of diseased mentalities that worship your twisted cross… What monstrosity has been released in this keep? Who are you meeting, Kaempffer, in the granite corridors of this keep?“
Im Grunde genommen ist es ein Wunder, dass The Keep überhaupt so existiert. Nach massiven Studio-Kürzungen und dem Tod von Special-Effects-Künstler Wally Veevers zu Beginn der Postproduktion, stand die Adaption von F. Paul Wilsons gleichnamigen Roman unter keinem guten Stern. Und die schwierige Produktion hat ihre Spuren hinterlassen, die sich besonders in der sprunghaften Handlung und den holzschnittartigen, unfertigen Figuren sichtar machen (obwohl diese starke Motivationen vorzuweisen haben). Gut möglich also, dass in irgendeinem Keller von Paramount eine gut doppelt so lange Version dieses Krypto-Meisterwerks lagert und nur darauf wartet, das Licht der Welt zu erblicken. Oder könntest du dich alternativ für ein Jahr in den Schnittraum einsperren, Michael – bitte?
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