Das Göttliche und das Profane – „Maria“ von Pablo Larraín

Es ist eine Kunst, in einem Film über eine Musikrichtung, die ich höchstens peripher wahrnehme (vornehmlich durch andere Kunst), dennoch etwas tief in mir zum schwingen zu bringen. Weil es hier um mehr geht als Maria Callas, die krankhaft süchtige, krankhaft selbstbezogene, übermenschlich begabte Künstlerin. Es geht um Kunst als Lebenssinn und die Dunkelheit, die einzieht, wenn dieser Sinn nicht mehr gestiftet werden kann. Fast wäre ich auf die vielen kritischen Stimmen hereingefallen, die Larraín in den vergangenen Jahren einen redundanten Regiestil attestieren wollten und ihn zu einem kunstgewerblichen Handwerker degradieren; das leibgewordene IKEA für die Kinoleinwand; Tumblr für weinschlürfende Programmkinogänger. Mitnichten! Der Gegenbeweis: Maria.
Immer wieder überrascht Larraíns Regie – kippt in die Vorstellungswelten Marias, parallelisiert und kontrastiert, um thematische Schwerpunkte herauszuarbeiten. Das fängt schon damit an, dass Maria ihrem Hausmädchen Bruna (Alba Rohrwacher) A cappella in der Küche vorsingt und dies mit ihren großen Auftritten mit Orchester, Bühnenbild und Beleuchtung gegengeschnitten wird. Auf der einen Seite eine ungeschminkte Frau im Morgenmantel, auf der anderen Seite eine quasireligiöse Musikerfahrung (unbedingt im Kino sehen!). Das Profane und das Sublime, hier fällt es fast zusammen. Und was lässt sich nun daraus machen? Ist es besser auszubrennen als zu verblassen, wie es Neil Young einst textete und Cobain in seinem Abschiedsbrief zitierte? Denn Maria verblasst in diesem Film, mit jedem Rückblick, jedem wehmütigen Gedanken an die Vergangenheit und die Glorie dieser Zeit. Ihre Stimme verblasst, da ist einfach keine Kraft mehr, die Tablettensucht zehrt sie zusehends auf. Für den Rat ihrer Schwester, die Tür zur Vergangenheit endlich zu schließen, hat sie nichts mehr übrig. Vielleicht weiß sie, dass sie bald gehen wird.
Angelina Jolie spielt diese arrogante, geistreiche Diva auf den Punkt. Sie kann gleichzeitig stolz wie eine Diva und traurig wie ein Mädchen dreinschauen. Sie lässt die Macht einer Stimme erahnen, die die Zeit überdauert hat und weiter überdauern wird, und macht zugleich die darin enthaltenden Brüche hörbar. Gleichzeitigkeiten und Widersprüche, hell und dunkel, Heiliges und Profanes. Auch in Marias Behandlung ihres Personals drückt sich ihre ganze Ambivalenz aus; ihren Rücken-geschädigten Butler Ferruccio (Pierfrancesco Favino) lässt sie beispielsweise ohne triftigen Grund andauernd das Klavier verschieben, vielleicht aus verwirrtem Aktionismus, aber eher aus Grausamkeit. Später bedankt sie sich dann tränenreich bei Bruna und Ferruccio für ihre Anwesenheit. Es fällt schwer, diese Person zu mögen und der Film unternimmt gar nicht erst den Versuch, sie in einem guten Licht dastehen zu lassen. Sie bleibt schattenbefleckt. Eine Jahrhundertstimme, die in einer letzten Arie erschöpft erstickt. Eine einsame Frau, die nur noch von jenen umgeben ist, die sie dafür entlohnt.
Während Maria zusehends in den Wahnsinn abgleitet und sich ein letztes, großes Interview imaginiert, in dem sie hadernd auf ihre Vergangenheit blickt, sehen wir sie immer wieder durch die Augen von Bruna und Ferruccio, die Sympathieangebote in einem Film voller Egomanen und Egoisten. Klassenfragen spielen in ihrem Verhältnis zu Maria eine Rolle, werden aber nicht gegen ihre Lebenskrise ausgespielt. Arschloch und Genie, in diesem Film ist für beides Platz. Ihr Geliebter, das Scheusal Aristoteles Onassis (Haluk Bilginer) passt zu ihr; auf dem Geburtstag von JFK lästert sie über Marilyn Monroes Stimme, und er schießt zurück: „Niemand interessiert sich für ihre Stimme, so wie sich niemand für deinen Körper interessiert.“ Hier schließt sich der Kreis zu Jackie und damit zum ersten Teil dieser Trilogie über Frauen der modernen Weltgeschichte. Dort erzählte Larraín von einem Neubeginn nach einer Tragödie, nun sind wir am Ende angekommen. Maria Callas – The Last Days. Und über allem, allen Fehlern und Krisen, allen Verfehlungen und Grausamkeiten, schwebt immer wieder ihre Stimme. Etwas Singuläres, das uns innehalten lässt, das mehr ist als die Summer ihrer Teile. Auch das Kino ist heilig – aber es braucht keine Heiligen.
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