Das Land der Wölfe – „Sicario“ von Denis Villeneuve

Distanzierte Einstellungen bis hin zu abstrahierenden, topographischen Landschaftsgemälden und wechselnde Erzählperspektiven belassen den Zuschauer lange im Unklaren – darüber, was hier eigentlich passiert und wer mit wem und gegen wen und überhaupt. Emily Blunts mädchenhafte, verschreckte Züge bilden die angemessene Identifikationsfläche, um mit ihr auf die Verstrickungen des Drogenkrieges an der amerikanisch-mexikanischen Grenze zu blicken. Da ist noch moralische Integrität in ihrem Blick, Glaube an etwas universell Gutes, Glaube an den Rechtsstaat, seine Legitimität, vor allem: seine Begrenzungen. Nur um am Ende des Filmes desillusioniert aus dem Land der Wölfe geschmissen zu werden, nachdem sie verprügelt und gedemütigt wurde. Aber immerhin: am leben.
Es ist sicherlich infrage zu stellen, warum ausgerechnet ihre Figur, die schon den gesamten Film über mit ihrer Handlungsunfähigkeit zu ringen hat, auch noch diejenige sein muss, die durch einen One-Night-Stand die Arbeit des gesamten Teams zu kompromittieren droht. Im Kontrast dazu kommt mir Del Toros einsamer, stoischer Wolfcharakter viel zu gut weg. Er bleibt zwar moralisch ambiguitiv, trotzdem zeigt uns der Film unmissverständlich, wie dieser durch Folter immer wieder entscheidende Informationen enthüllt. Nebenbei verteilt er Kopfschüsse locker aus dem Handgelenk und bekommt die tragischste aller Hintergrundgeschichten spendiert. Und dann darf er am Ende auch noch lässig das Fazit dieses Filmes brummen: „You should move to a small town where the rule of law still exists. You will not survive here. You are not a wolf. And this is the land of wolves now.“
Das Duo Deakins/Villeneuve hat derweil die Ruhe, sich in der moralischen Ambiguität von Sheridans Drehbuch kreativ zu entfalten, statt sich in Schießereien und Gräueltaten zu flüchten. Der Film zeigt zwar Grausames, wird auch gelegentlich explizit, aber nie zum Selbstzweck, nie mehr als nötig. Bei einer Folterszene fixiert die Kamera ein Abflussloch, erhängte und geschändete Leichen sehen wir nur aus der Distanz, durch ein Autofenster, über die Schulter von FBI-Agentin Kate (Blunt). Sicario ist schon sehr darum bemüht, dezidiert KEIN Actionfilm zu sein. Stattdessen baut der Film immer wieder Antizipation und Spannung auf, nur um sie dann entgegen der Eskalationslogik von Actionfilmen vergleichsweise zahm aufzulösen.
Bei einem geplanten Hinterhalt am Grenzübergang scheitern die Schergen des Kartells an der drückenden Überlegenheit der amerikanischen Sicherheitsbehörden, bei einer Black Op in einem geheimen Drogentunnel wechselt die Kamera auf Nachtsichtaufnahmen. So wie sich der ewige Kreislauf des Drogenkrieges in kein narratives Schema zwingen lässt, so sehr versucht Sicario narrative Erwartungshaltungen gezielt zu unterlaufen. Und Roger Deakins poetische Bilder zwingen zur Ruhe: statt eines Actionfeuerwerks gibt es Lichtstimmungen, weite Himmel, ewig fahrende Autokolonnen, Ambivalenzen und harte Kerle. Es steckt schon ziemlich viel Hollywood in Sicario, trotz seiner betont entschleunigten Verpackung, aber alles in allem stimmen die Zutaten. Gerade die guten Schauspieler und die sehr reduzierte, aber kluge Geschichte regen zum nachdenken an – oder zum verzweifeln.
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