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Magazin für Filmkritik

Der unberührte Strand – Ein Wiedersehen mit „Cast Away“

Als Kind habe ich solche Geschichten – Robinsonaden werden sie in Anlehnung an Daniel Defoes berühmten Abenteuerroman um den gestrandeten Seefahrer Robinson Crusoe wohl genannt – sehr geliebt. Von der Verfilmung des Buches mit Pierce Brosnan in der Titelrolle über die ABC-Serie Lost und ihre nicht enden-wollenden Mysterien bis zu Robert Zemeckis Cast Away, den ich nun nach geschätzt zehn Jahren mal wieder gesehen habe.

Arbeit und Struktur

Statt eines havarierenden Segelschiffes ist es hier ein abstürzendes FedEx-Flugzeug, das Systemanalyst Chuck Noland (Tom Hanks) auf einer einsamen, pazifischen Insel stranden lässt. Auffällig finde ich zunächst die Struktur des Filmes, die grob in vier Abschnitte unterteilt werden kann. 1. Chucks (Arbeits-)Leben vor dem Absturz, das vornehmlich daraus zu bestehen scheint, dass dieser irgendwelche russischen FedEx-Mitarbeiter anbrüllt und (zugegebenermaßen) sehr süß mit seiner Freundin Kelly (Helen Hunt) zum Takt eines Kopierers tanzt, 2. Absturz, Strandung und erste Eingewöhnung ins Inselleben, 3. Zeitsprung um vier Jahre, Hanks trägt jetzt eine verfilzte Perücke und ist dünn, 4. Finaler Fluchtversuch, Rettung und Rückkehr in die Zivilisation.

Abschnitt 1 und 4 fallen dabei viel größer aus als ich sie in Erinnerung hatte und waren zu meiner weiteren Überraschung auch jene Teile des Filmes, die mir am besten gefallen haben. Das hat vor allem mit dem Zusammenspiel zwischen Hanks und Hunt zu tun, insbesondere ihrer vorsichtigen, zarten Annäherung nach seiner Rückkehr, die im stimmigen Kontrast zum Verliebtsein vor dem Absturz steht. Der Absturz selbst, den Zemeckis im Grunde in Realzeit inszeniert, kann noch heute Beklemmungen auslösen. Die Desorientierung, die Panik und die Gewalt des Aufpralls bekommt dieser in fiebrigen Handkamerabildern und flackernden Lichtern zu fassen.

Mann vs. Natur

Chucks Leben auf der Insel, das den mittleren und größten Teil des Filmes ausmacht, empfand ich hingegen als nur leidlich interessant. Das mag wiederum mit zwei Staffeln 7 vs. Wild und dem oberflächlichen Survivalwissen zu tun haben, das sich dadurch via Osmose in mir eingelagert hat. Jedenfalls wird schnell offensichtlich, dass Chuck im Grunde alles falsch macht, was man in so einer Situation falsch machen kann. Das ist natürlich kein ernsthafter Kritikpunkt – Hanks Figur ist Analyst für FedEx, ich erwarte also nicht, dass dieser irgendetwas darüber weiß, wie man auf einer einsamen Insel überlebt. Anders als früher hat man jedoch die einzelnen Etappen des Gestrandet-auf-einer-einsamen-Insel-Szenarios (Kokosnüsse knacken, Feuer machen, Kleidung anfertigen, Shelter bauen, Wasser sammeln) mittlerweile schon zu oft gesehen, um noch davon begeistert zu werden. Das sagt allerdings mehr über mein verändertes Sehverhalten aus als über den Film selbst.

Konsumkritik

Anders verhält es sich mit den thematischen Perspektiven, die der Film eröffnet – oder eben: nicht eröffnet. Die Prämisse, Hanks in einem voll beladenen FedEx-Flugzeug abstürzen und ihn daraufhin immer wieder angespülte Pakete finden zu lassen, finde ich genial. Was aber daraus gemacht wird, ist eher enttäuschend. Zemeckis scheint nämlich so gut wie gar nicht daran interessiert zu sein, inwiefern sich der Blick von Chuck auf die Gesellschaft verändert hat, nachdem er für über vier Jahre von ihr isoliert war. Hier hätte sich ein Kommentar auf den Konsumismus und Hedonismus der westlichen Erlebnisgesellschaften, gerade in den Neunzigerjahren, geradezu angeboten.

Der Film bietet Ansätze eines solchen Kommentars in einer kurzen Szene, die nach der Rückkehr spielt. Nachdem eine große Wiedersehensfeier in Chucks Hotelzimmer gegeben worden ist, schlendert dieser nachdenklich am reich gedeckten Buffet vorbei und blickt gedankenverloren auf die Flamme, die er mit einem Stabfeuerzeug entstehen lässt. Die Botschaft der Szene ist klar: Nahrung, die er sich auf der Insel mühsam hatte erjagen müssen, ist in der Zivilisation in verschwenderischem Maße vorhanden, ebenso das Feuer, das er unter großen Kraftanstrengungen hatte entfachen müssen. Zugleich haben die Menschen um ihn herum, so wie er selbst vor seinem Absturz, jedes Gespür dafür verloren, was so reichlich und mühelos erreichbar vor ihnen liegt.

Spielberg für Arme?

Chuck hat eine neue Perspektive auf diese Gesellschaft gewonnen, aber wir werden als Zuschauer abseits von dieser knappen Szene nicht daran beteiligt. Zemeckis scheint lieber den gefahrlosen Weg einer Liebesgeschichte gehen zu wollen, die aufgrund der Hauptdarsteller auch durchaus funktioniert, aus der Prämisse aber nur einen Bruchteil herausholt. Zemeckis arbeitet sich am Spielberg-Katalog gefühligen Erzählkinos ab, aber ohne dessen technische Brillanz. Für eine Robinsonade erfährt man erschreckend wenig über die Insel, von der man im Grunde nur den immer-gleichen Strandabschnitt sowie einen Bergzipfel mit Bluescreen Backdrop zu sehen bekommt. Am Ende bleibe ich darum ein bisschen berührt, aber auch ein bisschen unbefriedigt auf meinem Sofa zurück, während Silvestris einlullender Score den Abspann begleitet. Vielleicht hätte dem Strand etwas Plastikmüll nicht geschadet.

Header-Bild & Galerie: © DreamWorks Pictures