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Magazin für Filmkritik

Die Identifikationsfalle – „The Game“ von David Fincher

The Game mit Michael Douglas

Es hat etwas eigenartig beruhigendes, dass sich Michael Douglas Tour de Force vom griesgrämigen Finanz-Scrooge zum geläuterten Carnegie am Ende auf ein Kaffee-Date am Flughafen runterdampft. Keine einstürzenden Finanzschlote, kein Nullpunkt, keine kulturpessimistische Conclusio – nur ein Arschloch, das einmal aus zehn Metern fallen und in einem Müllcontainer landen muss, um nicht mehr ein ganz so großes Arschloch zu sein. Für wen das jetzt reichlich banal klingt, hat recht: The Game erzählt keine Systemkritik, sondern eine Art Systemkritik-Kritik. Als Farce. Dafür bedient sich Fincher den Mustern moralischer Erzählungen wie etwa Dickens Weihnachtsgeschichte.

Solche Erzählungen laufen immer auf die persönliche, moralische Läuterung ihrer Hauptfigur hinaus, niemals auf systemische Anpassungen oder gar Verwerfungen. Das Problem ist demnach nicht der Reichtum, den ein entfesselter Finanzmarkt ermöglicht, sondern immer nur der Charakter des Reichen. Weil Erzählungen nun mal über Identifikation funktionieren, entlässt uns Douglas Wandlung vom bösen Millionär zum guten Millionär darum mit einen befriedigenden Gefühl aus dem Film. Auch mich. Es hat sich schließlich etwas zum Guten gewendet, auch wenn die allgemeine Ordnung unangetastet bleibt. Emotional nachvollziehbare Veränderung ist viel besser verdaulich statt undurchschaubarer gesellschaftlicher Umwälzungen oder unaufgelöster Widersprüche. Schlussendlich bleibt hier alles an seinem Platz – wie angenehm unaufregend.

Hate the Player, not the Game

Das ist die Falle, in die uns Fincher tappen lässt: Identifikation. Wir fiebern mit diesem megareichen Investmentbänker mit und damit gleichsam mit den systemischen Bedingungen, die Leute wie ihn überhaupt erst ermöglichen. Douglas ist ideal für dieses Kunststück, verkörpert er doch all die machtbewussten, elitären Gesten seiner entschärften Gordon-Gekko-Iteration ebenso glaubhaft wie seine Wandlung zum emotional verletztlichen, traumatisierten Vatersöhnchen. Je mehr er zu verlieren droht, desto größer wird die Anspannung – und umso größer die Entspannung, wenn schließlich jeder Cent wieder auf seinem Konto landet. Gleichzeitg eröffnet dessen Reichtum Fincher die Möglichkeit, ziemlich geile Häuser, Büros und Autos auf seine geile 90er-Fincher-Art zu filmen. Das ist Verführungskino der anderen Sorte. Subversiver Kapitalismusporno für Thrillerfans.

Gerade die Nacht bekommt Fincher dabei auf eine Weise zu fassen, wie es nur wenigen Regisseuren gelingt und selbst Fincher in seiner digitalen Ära nicht wieder gelungen ist. Ich weiß nicht genau, was es ist, aber die Facetten von Schwarz in seinen Neunzigerjahre-Streifen bilden für mich die ästhetische Quintessenz amerikanischen Thrillerkinos dieser Dekade. Das unverbrauchte San Francisco als in Neon und kalten Dunst gehüllter Schauplatz tut sein übriges und liefert eindrückliche Bilder für dieses eigenartige, unwirkliche Gefühl von Paranoia, das die Geschichte evoziert. Nachhaltig beeindruckend ist nach wie vor die Taxi-Entführung in einer verlassenen Stadt, die sich plötzlich leerende Tiefgarage oder auch die direkte Ansprache des Nachrichtensprechers, der Douglas in die Regeln des titelgebenden Spiels einführt.

Es ist ein Spiel für gelangweilte oder anderweitig lebenskriselnde Superreiche, für deren Umsetzung auch mal eine ganze Nachbarschaft zusammengeschossen wird. Eine Art privilegiertes Brot-und-Spiele-Szenario, in dessen Verlauf die Kunden ihre eigene Menschlichkeit wiederentdecken können. Die Welt wird infolge zum Filmset, was Douglas Figur in einer der besten Szenen des Filmes selbst Stück für Stück herausfindet, indem er die Kulissen einer zunächst ganz normal scheinenden Apartmentwohnung auf ihre Echtheit abklopft. Und wie Fincher hier ein Detail nach dem anderen anhäuft, bis es zur Eskalation kommt, ist einfach richtig gutes Handwerkszeug; vom leeren, ausgeschalteten Kühlschrank, von der Lampe, an der noch das Etikett hängt über die Pappaufsteller in den Regalen, die die Anmutung von Buchrücken haben. Douglas bekommt die volle Truman-Experience! Und immer, wenn man glaubt, The Game würde sich einem offenbaren, schlägt dieser kleine, feine Film einen neuen Haken. Bis er eben keinen Haken mehr schlägt und nichts bleibt als die große Farce. Die Falle hat zugeschnappt: ich habe mitgefiebert.

And all I got was this stupid-fun time.


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