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Magazin für Filmkritik

Harter Geist, weiches Herz – „Catch the Killer“ von Damián Szifron

Shailene Woodley in Catch a Killer

Ein Scharfschütze tötet an der Silvesternacht 29 Menschen. Er hinterlässt kaum Spuren. Die junge Polizistin Eleanor Falco (Shailene Woodley) beweist in der Tatnacht eine gute Beobachtungsgabe und wird daraufhin vom zuständigen FBI-Agenten Lammark (Ben Mendelsohn) zur Klärung des Falls hinzugezogen. Bei der Ermittlung zeigt sich ein im Zerfall befindliches USA: Skepsis, Machtkämpfe und Vereinzelung bestimmen den untergründigen Ton einer provisorisch am Laufen gehaltenen institutionellen Maschinerie. Hoffnungsschimmer ist die junge Polizistin Eleanor, denn sie versteht sogar den Unmut des Täters. Ein Unmut, den vermutlich auch viele der Zuschauenden teilen müssten.

Wir erfahren nicht viel über Eleanor und auch nicht besonders viel über den Täter. Dennoch wird klar, dass beide eine ähnliche Wut teilen. Bei ihr richtet sich die Wut nach innen und drückt sich in der Selbstverletzung aus. Bei ihm richtet sich die Wut nach Außen und drückt sich im Angriff auf „die Gesellschaft“ und ihre Mitglieder aus. Die Wut selbst ist nachvollziehbar. Der Film macht sie nachvollziehbar. Wir sehen Nahaufnahmen aus Schlachthäusern und Mülldeponien, sich unnötig echauffierende Kaufhausbesucher oder irrationale Machtausübung. Wir sehen in wenigen, dafür aber eindringlichen und nachdenklich stimmenden Einstellungen eine Gesellschaft, die in vielerlei Hinsicht den falschen Weg zu verfolgen scheint.

In Shailene Woodleys Gesicht drückt sich perfekt die Verzweiflung und depressiv erkaltete Wut eines empathischen Menschen aus. Es ist der Ausdruck eines Menschen, dessen Mitgefühl und Sinn für Fairness etliche Male an den Mauern erstarrter Institutionen abgeprallt sein muss. Zartheit, die über Dauer hart wurde. Was mit Shailene Woodleys Gesicht im Verlaufe des Films passiert, ist meisterlich. Wir sehen eine Figurenentwicklung, die gleichfalls ein politisches Statement ist.

Eleanor, die an der Gesellschaft gebrochene Empathin, wechselt von einem passiven Zustand in einen aktiven. Sie verhält sich zunächst beobachtend: in einer erkrankten Gesellschaft bleibt nicht viel mehr als das übrig. Wir sehen sie in einer Einstellung sanft auf dem Wasser treibend. Im Moment der charakterlichen Veränderung dreht sich die Kamera um 180 Grad und wir sehen sie kraulend kraftvoll Wasser aufwirbelnd. Sie wechselt in einen aktiven Zustand.

Dieser subtil vollzogene Zustandswechsel der Hauptfigur ist ein grandioses politisches Statement. Wie können wir das Paradoxon umgehen, Gewalt mit Gegengewalt zu begegnen? Wie können diejenigen, die die Ungerechtigkeiten der Welt mit einem zerbrechenden Herzen beobachten, eingreifen, ohne sich dabei zu vergreifen? Es gibt dieses Zitat der Widerstandskämpferin Sophie Scholl, das pointiert zusammenfasst, welcher charakterliche Zustand nötig ist, um die Ungerechtigkeiten nicht bloß zu betrauern, sondern anzugehen:

„Man muß etwas machen, um selbst keine Schuld zu haben. Dazu brauchen wir einen harten Geist und ein weiches Herz. Wir haben alle unsere Maßstäbe in uns selbst, nur suchen wir sie zu wenig.“

Sophie Scholl

In einer der letzten Einstellung sehen wir Eleanor in eindringlicher, geradezu unerbittlicher Überzeugung mit dem Bürgermeister und seinen Kollegen verhandeln. Die Politiker erkaufen sich Eleanors Schweigen. Dafür handelt Eleanor sich unter anderem eine Position beim FBI heraus, die ihr entspricht. Statt sich in Anbetracht der korrupten Machenschaften der Politiker trotzig zu entziehen, geht sie den Weg durch die erkrankten Institution. Sie schüttelt Hände, als ein Zeichen der Anerkennung der gesellschaftlichen Regeln. Aber sie widerspricht auch gleichzeitig: „Wir verstehen uns nicht!“ Ihre Augen tränen, aber ihr Ausdruck ist entschlossen. Ihr Herz ist weich, aber ihr Geist hart.


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