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Magazin für Filmkritik

Im Bann der Vulgär-Psychologie – Hitchcock und der falsche Baum

Verfilmtes Theater

Was ich immer wieder an Filmen dieser Art liebe – alte Filme meine ich – ist die Etikette und die Kleidung. Die mehrteiligen Anzüge der Männer, die Kostüme der Frauen, Hüte, Gehstöcke, dazu schweres, ledriges Interior, Teppiche, Holz-vertäfelte Wände, überhaupt Holz so weit das Auge reicht! Und dann der Benimm, das höfliche „Guten Abend“ und die leichte Vorbeugung dabei. Und wenn wir schon bei „Guten Abend“ sind, dann sei auch der Umstand erwähnt, dass die Sprache in den deutschen Übersetzungen alter Filme ganz wohlklingend ist, da übersetzt und gesprochen von Leuten mit Sprachsinn und – oftmals – einer Menge Theatererfahrung. Dieses Theaterhafte ist schließlich vielen Filmen dieser Ära zu eigen, auch in ihrem Original, darum ist die Umsetzung der deutschen Übersetzung in diesem Punkt nur folgerichtig.

Das Theaterhafte verliert sich auch in Spellbound nur ganz vereinzelt. Wenn Hitchcocks Innovationsdrang hervorbricht, dann sehen wir Traumsequenzen aus der Dali-Imagination oder experimentelle Ego-Perspektiven. Dies ist, wohlgemerkt, wohldosierter Surrealismus in einem vulgär-psychologischen, Tod-gequasselten Film, den man sich dennoch aus zwei Gründen gefallen lässt: 1. Alfred Hitchcock – ich sah den Film mit der Frage im Kopf, was sich Hitchcock wohl noch alles einfallen lassen würde, um aus dem Theater auszubrechen und das Filmische einkehren zu lassen – und 2. das Hauptdarsteller-Paar Bergman/Peck (technisch gesehen handelt es sich also um drei Gründe). Wenn sich Bergman und Peck himmelhochjauchzend in den Armen liegen und in ihren Psychen wühlen – und dabei Dinge sagen wie „Warum erschrecken dich Linien? Warum erschreckt Dich die Farbe Weiß? Denk an Weiß, Weiß!“, – dann möchte ich eigentlich nicht mehr weiter schauen. Aber die beiden sind so unverschämt gut angezogen und selbstredend gleichermaßen unverschämt gutaussehend, dass ich dranbleibe.

Der hysterische Mann

Bergmans Figur erlaubt außerdem eine kleine Analyse vergangener Geschlechterrollen. Folgende Dinge waren auffällig: 1. Ironischerweise ist sie die „melodramatischste“ und sentimentalste Figur, obwohl sie ihre Psycho-Kollegen wiederholt als Eisklotz titulieren. 2. Es gibt da diesen stetig wiederkehrenden Griff an den Arm (ziemlich genau an der Armbeuge), der ganz typisch ist für diese Zeit. Er geschieht dann, wenn der Mann die Frau leidenschaftlich zu sich heranzieht – entweder, weil er sie küssen will (also die Lippen unbewegt auf die ihre pressen) oder weil er sie zur Vernunft schütteln muss, weil diese mal wieder („typisch Frau“) ganz hysterisch geworden ist. Dieser Griff passiert aber auch außerhalb solcher Situationen. Manchmal wird die Frau am Ellenbogen gepackt, um mit ihr den Raum zu verlassen (die führende Hand), manchmal erfolgt der feste Griff bereits präventiv (du bleibst hier), manchmal erfolgt er ohne jeden erkennbaren Grund. Dieser Griff scheint ganz selbstverständlich und sobald man einmal beginnt, auf ihn zu achten, begegnet er einem in beinahe jedem Film aus dieser Zeit. Vielleicht ist er besitzanzeigend, vielleicht Dominanz-etablierend, wahrscheinlich gibt es eine Reihe von Erklärungen und Interpretationen, die diesen Armgriff lesbar machen.

Da Spellbound in der Mitte des psychologischen Jahrhunderts erschien, ist die Psychoanalyse natürlich der letzte Schrei. Mit welcher Sicherheit die Psychologen im Film einzelnen Traumelementen unmittelbar eine feste Bedeutung zuweisen, ist dabei irritierend und erheiternd zugleich. Psychoanalyse also verstanden als universeller Werkzeugkasten, mit dem sich jedes Problem zielgenau beheben lässt und Psychologen verstanden als pragmatische Klempner der Seele (keine Ahnung, woher diese Redewendung kommt, aber sie enthält einiges an Wahrheit, wenn man sich diesen Film ansieht). Durch die geschilderte Beziehung von Analytiker und Analysand wird in Spellbound übrigens zugleich die Geschlechterrollen-Logik interessant verkehrt, da es Peck ist, der sich als psychisch Leidender in jene hysterischen und „schwachen“ Posen werfen muss, die ansonsten für Frauenrollen reserviert blieben. So sehen wir Peck immer wieder kraftlos in sich zusammensacken, ohnmächtig werden oder irrational daherreden. Bergman ist es, die Peck in diesen Momenten auffängt, an seinen Logos appelliert und schließlich – um einmal den stürmischen deutschen Titel aufzugreifen – für sie als Paar und für ihn als gesundes Individuum zu kämpfen sucht.

Der falsche Baum

Ich möchte schließen mit dem Anfangsbild: wir sehen einen Baum, an dem nur noch vereinzelte Blätter hängen. Der Wind geht stark und immer wieder fliegen Blätter durchs Bild. Was mir dann jedoch bei genauerem Hinsehen aufgefallen ist: keines der Blätter, das am Baum hängt, fliegt weg. Stattdessen kommen die Blätter, die durch den Bildausschnitt flattern, von außerhalb. Meine Deduktion daraus: die Blätter am Baum sind angeklebt! Vielleicht ist es nicht einmal ein echter Baum! Vielleicht ist nicht einmal der Wind echt, sondern da steht so ein riesiger Fön an der Seite und ballert den Wind gegen den Fake-Baum und einige Produktionslakaien werfen in regelmäßigen Abständen ein paar Fake-Blätter in den Fake-Wind Richtung Fake-Baum! Ja, ja, das Kino als große Illusionsmaschinerie, als blendendes Lichtspiel, als köstliche Lüge … Was sagt es über uns aus, dass wir uns der Illusion trotzdem so bereitwillig hingeben? Vielleicht liegt die Antwort zwischen den Linien und dem Weiß begraben und wir bräuchten nur den richtigen Schlüssel, um sie zu entschlüsseln. Vielleicht ist das aber auch nur Vulgär-Psychologie …

“Good night and sweet dreams… which we’ll analyze at breakfast.”

Michael Chekhov – Dr. Alexander Brulov

Beitragsbild und Galerien © United Artists