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Magazin für Filmkritik

Irre Hippies beten Bäume an – „The Wicker Man“ von Robin Hardy

Lord Summerisle (Christopher Lee) vor dem Wicker Man

Eine unerwartete und damit umso bitterere Enttäuschung. Gerade weil ich Asters Midsommar sehr schätze, erwartete ich vom Genre-Primus des Folklore-Grusels wirklich Großes. Aber leider hat The Wicker Man ordentlich Staub angesetzt. Das fängt bereits bei der grundlegenden Konstellation des Films an, die uns in die Perspektive eines streng religiösen Polizisten (Edward Woodward) zwingt. Dieser soll das Verschwinden eines Mädchen auf der Insel Summerisle ermitteln und ist von den heidnischen Praktiken der Inselbewohner zuerst irritiert und dann mit zunehmender Laufzeit offen entrüstet:

Lord Summerisle: Well I’m confident your suspicions are wrong, Sergeant. We don’t commit murder here. We’re a deeply religious people.

Sergeant Howie: Religious? With ruined churches, no ministers, no priests… and children dancing naked!

Feldforschungsübung

Die neuheidnische Religion der Insulaner ist eine Mischung aus Hippie-Kommune (gemeinsam musizieren, freie Liebe), New Age-Kommunismus und keltischen Kulten. Alles dreht sich um Fruchtbarkeit und den endlosen Zyklus vom Werden und Vergehen. Der Einzelne zählt nur in seinem Beitrag fürs Ganze etwas, auch vor menschlichen Opfergaben schrecken die Inselbewohner darum nicht zurück. Im Gegenteil, sie empfinden es als große Ehre, für die Gemeinschaft sterben zu dürfen, um dann wiedergeboren zu werden. In Midsommar gaben mir die Gegenüberstellungen zwischen den Wertevorstellungen der Kommune und denen der Studenten noch etwas zu denken (siehe: radikale Alterspolitik) – bei The Wicker Man wird einem durch die streng religiöse Perpektive Howies hingegen sehr schnell vermittelt, um was für einen Haufen Irrer es sich bei den Bewohnern Summerisles handelt.

Auch der Film selbst bleibt dahingehend frustrierend einseitig. Das spiegelt sich auch in der drögen Inszenierung wieder, die einem manchmal das Gefühl vermittelt, eher einer abgefilmten Feldforschung beizuwohnen als einem Horrorfilm. Es ist sicherlich reizvoll, mit Erzählperspektiven zu experimentieren, die eine Identifikation erschweren. Die daraus resultierende Desorientierung und Haltlosigkeit könnte selbst ein Ursprung des Horrors sein. Hier aber resultiert aus dem völligen Fehlen eines Identifikationsangebots nur blankes Desinteresse. Was interessiert es mich, wenn eine Horde religiöser Spinner einen anderen religiösen Spinner zu Schaschlik verarbeitet?

Strohmänner

Höchstwahrscheinlich (hoffentlich!) ist die Erzählperspektive und die Opportunität der Hauptfigur von den Machern beabsichtigt, aber leider ergibt sich aus dieser kreativen Entscheidung für mich kein großer Erkenntnisgewinn. Dazu ist die Erzählung zu durchsichtig und die Form zu berechenbar, um diesen fehlenden, fokalen Ankerpunkt kompensieren zu können. Vielleicht sprach die konservative Ordnungsfigur des Polizisten, die endlich mal im muffigen Hippie-Dorf aufräumt, auch zum einem Großteil des englischen Publikums seiner Zeit. Dabei wäre es doch so viel spannender, wenn einem das Dorf zuerst als Utopie verkauft würde und einem über die Perspektive Howies als beobachtender Außenseiter auch die Vorzüge dieser Lebensweise klar würden.

Zumindest werden die Dorfbewohner nicht mit Vorstellungswelten einer ewigen Hölle und der Erbsünde malträtiert, sondern begreifen den Tod als Teil eines Kreislaufs. Das erscheint mir als Umgangsform mit der eigenen Endlichkeit gesünder zu sein als es bei vielen Spielarten des Christentums der Fall ist. Die Wicker Man-Gemeinde also zuerst als ernstzunehmendes, spirituelles Alternativangebot zu verkaufen, um ihre Ideologie dann Stück für Stück zu pervertieren, hätte mir ein deutlich interessanteres Seherlebnis verschafft. The Wicker Man ist aber leider ein Film wie ein Strohmann-Argument; ein Film, bei dem nie ein wirkliches Interesse an den Ideen der Opposition besteht, sondern nur die Dämonisierung des Anderen.

Einige Szenen haben dennoch bei mir gewirkt: der Blick der Kneipenbesucher gen Decke, während im Zimmer darüber gebumst wird, und dazu die Musik (Simon & Garfunkel auf sublim rallig, aber creepy rallig); oder das Bild der großen Wicker Man-Statue an den Felsklippen bei Sonnenuntergang. Hier sehe ich den ikonografischen Gehalt des Filmes, der sich mir bis zu diesen finalen Szenen aber nur selten erschlossen hat. Schade, aber vielleicht kann mich ja Nic Cage* noch mit dem Wicker Man versöhnen …


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