Kontrolle abgeben – „Toter Mann“ von Christian Petzold
Das Gesicht von Nina Hoss gibt Rätsel auf. Und es birgt Geheimnisse, die Petzold bis zum letzten Drittel sorgsam unter Verschluss hält. Nur ein paar Krumen zur Rätsels Lösung lässt er liegen. Aber darum geht es auch gar nicht. Vielmehr studiert Toter Mann einsame Menschen in einer seltsam entrückten, anonymen Welt und den dünnen Faden, der sie alle miteinander verbindet. Ein Anwalt und sein Klient, eine Frau im Schwimmbad, ein Bruder, eine Arbeitskollegin. Vergangenheiten, die die Gegenwart vergiften, eine Zukunft vereiteln. Die einen wollen vergessen, neu anfangen, die anderen suchen Absolution, Antworten, Klarheit – Gerechtigkeit.
Obwohl es die Geschichte hergäbe, erzählt Petzold hier keinen Genrestoff, sondern Hitchcocksches Melodram ohne Melodrama. Statt großer Gesten also Berliner Unterstatement: Tiefkühlpizza, amerikanische Oldies, statische Einstellungen, klare Kadrage. Petzold hat ein Auge für die kostbaren, spannenden Augenblicke, die sich in der Annäherung zwischen zwei Menschen ergeben, die sich annähern wollen und doch stets um Selbstkontrolle bemüht sind. Verpanzerte Menschen, deren Geheimnisse sie ironischerweise gleichermaßen voneinander trennen wie sie sie miteinander verbinden.
Aber bei allem Lob, aller willkommenen Abwechslung, die die Berliner Schule einst brachte, gerade die frühen Petzold-Filme sorgen ästhetisch für wenig Abwechslung. Sie sind hervorragend gearbeitet und geschnitten, aber sie gehen formal selten Wagnisse ein. Petzold ist seit jeher ein Regisseur, der um Kontrolle bemüht ist und sie nur schwerlich aus der Hand geben kann. Dies thematisiert er auch selbst, beispielsweise während der Pressetour zu seinem jüngsten Film Roter Himmel.
Diese Kontrolle hat sicherlich ihre Vorzüge, indem sie eine außerordentliche Schaffensphase ermöglicht hat (20 Filme in 30 Jahren), aber sie scheint mir auch zu verhindern, dass sich Petzold und sein Stammteam einmal grundlegend innovieren, gerade weil die Kräfte hinter der Kamera zum großen Teil die gleichen geblieben sind. Neue Impulse bringt Petzold vor allem über neue Schauspieler ein, so wie Nina Hoss, die nach einer langen kollaborativen Phase von Paula Beer abgelöst wurde. Ich weiß nicht, ob dieser Ruf nach Innovation ein legitimer Anspruch ist, schließlich drehen viele Regisseure ihre gesamte Karriere nur Variationen des immergleichen Filmes, nur eben mit umgestellten Stühlen. Vielleicht gehört auch Petzold zu diesen Filmemachern. Ich würde trotzdem zu gerne sehen, was möglich wäre, wenn er die Kontrolle einmal grundlegend abgäbe, um sich unausgesetzt neuen Impulsen hinzugeben.
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