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Magazin für Filmkritik

Krieg der Ideen – „Agora“ von Alejandro Amenábar

Das ist verfilmte Ideengeschichte! Dass Amenábar dafür 70 Millionen Euro Budget auftreiben konnte, grenzt schon an ein Wunder – und hat sich leider auch nicht amortisiert. Gelohnt hat es sich trotzdem, denn Agora ist eine absolut faszinierende Anomalie im Sandalenfilm-Business. Der Film spielt 391 nach Christus: Während sich das Römische Reich zumindest de jure in Ost- und Westrom aufteilt, kommt in der besetzten Provinz Ägypten und in der Stadt Alexandria allmählich das Christentum auf und konkurriert mit dem ägyptischen Pantheismus sowie dem Judentum. Im Zentrum der Erzählung, aber eigentlich am Rande dieser Umbrüche, steht Hypatia (Rachel Weisz), eine Mathematikerin und Astronomin, die die mechanischen Gesetzmäßigkeiten des Firmaments ergründet und die nachfolgenden Generationen philosophisch schult. In ihrer Figur, die von ihren Schülern gleichermaßen bewundert wie begehrt wird, ist das Ideal antiken Wissensdurstes verkörpert. Quasi als Mutter Philosophie wiegt sie ihre Schüler in ihrem Schoße, bis einige beginnen ihren Verstand für ein Dogma einzutauschen.

Ambivalenzen der Geschichte

Den Einzug des Christentums inszeniert Amenábar als eine Verdunkelung des Himmels. Apokalyptisch muten die ausschließlich schwarz gekleideten Glaubenskrieger der Parabolani an, die die Statuen der alten Götzen umwerfen, um das Kreuz aufzurichten (ikonographisch fühlte ich mich an den Islamischen Staat erinnert). Zugleich ist dieser Film voller Ambivalenzen und spannungsreicher Widersprüche. Selbst wissensdurstige, aufgeklärte Figuren wie Hypatia werden mit all ihren blinden Flecken und Zweifeln gezeichnet. Die Sklaverei stellte die gesamte Antike hindurch ein festes ökonomisches Fundament für eine ansonsten kulturell und wissenschaftlich florierende Gesellschaft dar, darum besitzt auch Hypatia selbstverständlich Sklaven. Die Beziehung zwischen ihr und dem Sklaven Davus (Max Minghella) ist dennoch eine wertschätzende. Sie bestärkt beispielsweise sein Interesse an ihren Forschungen. Er begehrt sie, als Liebhaberin, aber, so scheint es zumindest, auch als Mutterfigur. Das Meister-Untergebenen-Verhältnis wird gleichermaßen als warmer Schoß sowie als brutales Besitzverhältnis gezeichnet. Ironischerweise ist jene Szene, in der Hypatia Davus seine Freiheit gewährt, für ihn keine der Ermächtigung, sondern eine des Verlustes. Und von ihrer Seite eine Geste der Abscheu und nicht des Zuspruchs.

Als Ermächtigung dient Davus das Christentum mit seinen verabsolutierten Wahrheiten. Diese Wahrheiten verlangen unter anderem die Errichtung eines unterdrückerischen Patriarchats. Figuren wie Orestes (Oscar Isaac hat das perfekte Büsten-Gesicht) werden dadurch vor einen unauflösbaren Zwiespalt gestellt – zwischen politischem Pragmatismus und emotionaler und intellektueller Allianz zu Hypatia. Hier bekommt der Film epische und tragische Dimensionen. Die Figuren zerreißen innerlich, das Herabsacken auf die Knie wird als letzte theatralische Geste der Unterwerfung unter eine absolute Wahrheit inszeniert. Überhaupt: die Inszenierung. Immer wieder treiben wir ab, nach draußen, gen Weltall, schauen aus der Vogelperspektive auf das Geschehen herab. Agora ist als ein kleiner Ausschnitt Geschichte gefilmt, als vorüberziehender Sturm von Ideen, die die Welt für immer verändern sollten. Die schwelgende Musik von Dario Marianelli schwillt darum nicht nur zu den kämpferischen Konflikten an, sondern auch in Augenblicken des gemeinschaftlichen Denkens und Philosophierens.

Agora erzählt auf diese Weise von verschiedenen Formen der Vergemeinschaftung: Auf der einen Seite durch das Ideal der Gleichheit und des Erkenntnisstrebens (die Brüder des Neuplatonismus), auf der anderen Seite durch die absolutistischen Lehren des Monotheismus. Darum ist der Film auch als ein zutiefst religionsskeptisches Plädoyer zu lesen, das die Etablierung des Christentums mit einer Vernebelung des Verstandes übersetzt. Hier macht der Film, der im Übrigen eine freie, fiktionalisierte Bearbeitung fragmentarischer historischer Überlieferungen darstellt, vor allem wütend; wütend auf den ewigen Kreislauf von Wir und die Anderen, von Gewalt und Gegengewalt. In Hypatia zeitigt sich eine idealisierte, vermeintlich unschuldige Interpretation von Vergangenheit, der man nach dem eindrücklich geschilderten Einzug religiösen Barbarismus bereitwillig zu betrauern bereit ist. Denn übrig bleibt eine verdorrte geistige Landschaft. Da ist keine Wissenschaft, wo jede Frage bereits beantwortet wurde. Da ist kein Diskurs, wo bereits der Zweifel blasphemisch gedeutet wird. Da ist kein Zusammenleben möglich, wo das Dogma das Denken leitet. Aus Agora lässt sich auch für die heutige Zeit etwas lernen und sollte darum unbedingt (wieder-)entdeckt werden.

Headerbild und Galerie: © 20th Century Fox