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Magazin für Filmkritik

Leidende Massen, selbstlose Helden – „Avengers: Age of Ultron“ von Joss Whedon

Die Avengers haben sich "assembled"

Ja, ja, mit einer Kritik zum zweiten Avengers-Beitrag bin ich wohl way too late to the party, aber sei’s drum, im Zuge meiner kleinen, privaten Avengers-Retrospektive muss ich dann doch ein paar Worte über Whedons zweiten Rächer-Film verlieren. Was damals im Kino und auch heute noch funktioniert: Abhängen mit den Avengers. Sei es auf der Aftershowparty im Hauptquartier oder auf Hawkeyes idyllischem Familienanwesen – zu sehen, wie sich die Rächer abseits der großen Schlachtfelder spielerisch miteinander arrangieren, weckt in mir wohlige Erinnerungen an Whedons TV-Arbeiten und erdet jene Figuren, die vor CGI-Kulisse in heroischer Pose und betonter Coolness manchmal zu erstarren drohen. Wenn sich einer nach dem anderen an Thors Hammer versucht wie Arthur an Excalibur und dann der Umschnitt auf Thors (Chris Hemsworth) erschrecktes Gesicht folgt als es Cap (Chris Evans) gelingt, diesen um wenige Millimeter zu verschieben, dann bekommt man ein Gefühl dafür, wie sich die Avengers als Fernsehserie anfühlen könnte.

Whedon, der bekanntlich aus dem Fernsehen kommt, fehlt derweil das Händchen für die großen Bilder, die ein solcher Blockbuster so dringend benötigt, um memorabel zu sein. Hier ist nur wenig memorabel: die verlangsamten Hero-Shots, in denen alle Superhelden in ihren kämpferischen Posen erstarren wie in der berühmten Iwo-Jima-Fotografie, fordern so offensichtlich euphorische Jubelschreie vom Publikum ein, dass sie eher peinlich wirken. Ultron, wenngleich vom großartigen James Spader vertont, bleibt in diesem epischen Kampf eine merkwürdig egale Bedrohung, die in ihrer flapsigen Art bisweilen menschlicher wirkt als der große Endboss Thanos. Die Super-KI teilt zudem dessen konfuse Motivation, der Menschheit durch seine Vernichtung (oder halbe Vernichtung?) irgendeine Form von Gnade zukommen zu lassen (Ultron benutzt sogar das gleiche Vokabular). Die After-Credit-Scene erklärt diese Parallelen, indem sie andeutet, dass auch Ultron nur ein verlängerter Arm von Thanos gewesen war, beraubt Ultron als Gegenspieler damit aber zugleich jeder Eigenständigkeit.

Der kleine Mensch

Was mich jedoch besonders an diesem und allen anderen MCU-Filmen stört, ist das blanke Desinteresse an allem, das jenseits von Superhelden und Superhirnen stattfindet. Zivilbevölkerung ist hier immer nur eine graue (Verhandlungs-)Masse, die gerettet werden muss, damit unsere Helden moralisch profiliert werden können, aber es gibt so gut wie nie interessante, repräsentative Figuren für diese Masse (abseits irgendwelcher offiziöser Figuren wie dem Kongressabgeordneten aus Civil War oder direkter Familienangehöriger wie Hawkeyes Ehefrau). Ich muss dabei immer an Raimis Spider-Man-Filme denken und all die wunderbaren, kleinen Auftritte ganz gewöhnlicher Stadtbewohner, die nicht reich, superintelligent oder irgendwie „besonders“ sein müssen, um einen Platz im Film zu bekommen.

Dieser Vergleich hat natürlich seine Grenzen und die Unterschiede hängen auch mit der Dimension des MCU zusammen, das mit jedem Avengers-Eintrag weiter expandiert. Das Problem liegt jedoch darin, dass die MCU-Filme das Retten der Zivilbevölkerung selbst zu einem großen Fokus machen. Der gesamte dritte Akt von Age of Ultron (in irgendeiner ominösen, osteuropäischen Kleinstadt spielend) dreht sich um die selbstlose Rettung unschuldiger Zivilisten, ohne je irgendein Interesse an ihnen zu zeigen. Die Geretteten bleiben Tokens, eine Masse fleischgewordener McGuffins, deren einziger Wert darin liegt, als Motivation für unsere Superhelden herzuhalten. Das ist, versteht mich nicht falsch, nicht einmal per se problematisch. Ich würde nie auf die Idee gekommen, den gleichen Vorwurf einem Film wie 2012 zu machen, in dem alle Nase lang Menschenmassen in Erdspalten oder Lavaflüssen verschwinden.

Im Cabrio durchs Kriegsgebiet

Age of Ultron hingegen verbleibt stets in einem Zwischenbereich, in dem die gesichtslosen Massen einerseits Gesicht bekommen sollen, andererseits aber nur durch ihr Leiden charakterisiert werden. Sinnbild dieser tonalen Unvereinbarkeit ist die Szene, in der Hawkeye (Jeremy Renner) und Black Widow (Scarlett Johansson) in einem Audi-Cabrio* durch die Ruinen der zerstörten Stadt cruisen und sich dabei ganz lässig coole Sprüche zuwerfen, während um sie herum die Bevölkerung um ihr Überleben bangt.

Das ist ein grundlegendes Problem der MCU-Filme, die vieles antippen und erwähnen wollen, aber nie weiter als an der Oberfläche schürfen. So kann ich sie weder als reine Oberfläche genießen noch als ernsthafte Beschäftigung mit den Implikationen einer Welt, in der Superhelden echt wären. Hier stehen menschliches Leiden und One-Liner-Humor auf unangenehme Weise nebeneinander und Themen werden angedeutet, ohne weiter verfolgt zu werden. Da ist das peinliche Monster-Gleichnis von Black Widow, die ohne Konsequenzen bleibende KI-Forschung Tony Starks (Robert Downey Jr.) oder der spannende Vorwurf Ultrons, dass die Avengers die Welt zuvorderst bewahren wollen, nicht aber verändern – „you want to protect the world, but you don’t want it to change“. Ohnehin sind die Veränderer im MCU immer böse und Veränderung immer negativ. Das macht Age of Ultron, so wie das MCU in seiner Gänze, leider viel zu oft zu einer frustrierenden Erfahrung.


*Selbst Stark fährt trotz selbsterfundener Raumschiffe, Roboterarmeen und Superanzüge bevorzugt die deutsche Automarke.

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