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Magazin für Filmkritik

„Maid“ – Margaret Qualley!

Maid Netflix Screenshot

Die Netflix-Serie „Maid“ ist mitreißend. Im wahrsten Sinne des Wortes! Als die Serie 2021 rauskam, habe ich es nicht über die Pilotfolge hinaus geschafft. Ich meinte erkennen zu können, worauf mich mich einlasse: wacklige Kamera, Nahaufnahmen von inbrünstig spielenden Schauspieler*innen, untersättigte Bilder, kurzum deprimierender Realismus mit der genau richtigen hollywoodesken Wendung zu hoffnungsvollem Kitsch. Darauf hatte ich keine Lust. Irgendwas hat mich nun aber doch noch einmal zu der Serie gezogen. Irgendwas war Margaret Qualley, deren Spiel mich allmählich in ihren Bann gezogen hat!

Margaret Qualley!

Margaret Qualley ist eigentlich durch und durch Nebendarstellerin. Ihre körperliche Erscheinung bis hin zu ihrer Mimik, zuletzt auch ihr Spiel haben etwas Zurückgenommenes. Etwas Mauerblümchen-artiges, das sagt: „Bitte widmet mir nicht zu viel Aufmerksamkeit, ich fühle mich ganz wohl in der zweiten Reihe“. Diese Bescheidenheit im Spiel vergoldet die Serie und ist Hauptgrund für deren emotionale Wucht. Entgegengestellt ist ihr das Spiel ihrer leiblichen Mutter, die auch in der Serie ihre Mutter spielt. Sie ist exzentrisch, laut und ihre Gesichtsausdrücke überspannt bis manisch. Der Kontrast ist bewegend und lässt ersichtlich werden, wie viel Verzweiflung auch hinter der zurückgenommenen Mimik der Tochter verborgen sein muss.

Überhaupt ist die Charakterzeichnung und -entwicklung zutiefst menschlich. Niemand ist einfach nur Held oder Bösewicht. Emotional bedingte Fehlbarkeiten und die ihnen inhärente Dramatik werden mitfühlend erzählt. Das serielle Erzählen erschöpft sich hier nicht in Cliffhangern. Es ruht sich auch nicht auf seinem Sujet oder liebgewonnenen Charakteren aus, sondern es nutzt die Zeitspanne, um eine psychische Entwicklung abzubilden. Die Serie als tiefgehendes Medium statt wie so oft als eigentlich inhaltsleeres Suchtmittel!

Mutter sein

Was „Maid“ schafft, in der Tiefe zu berühren: Mutter-Tochter-Beziehungen. Über alle Unwägbarkeiten hinweg ist da die vorausgesetzte und unhinterfragte mütterliche Fürsorge. Nicht nur der von Margaret Qualley gespielten Mutter Alex und ihrer Tochter, sondern selbst zwischen älteren und jüngeren Frauen oder zwischen finanziell besser gestellten Frauen und solchen in Not. Fürsorge und Empathie werden als gewinnbringend gepriesen. Alex lernt, diese anzunehmen. Nicht, wer sich aus eigener Kraft herauszuboxen versucht, gewinnt, sondern wer Hilfe annehmen kann. So die Message.

In vielen Momenten, in denen nochmal so richtig klar wird, dass die Bindung zwischen Mutter und Tochter existenziell und schicksalhaft verwoben ist, war ich beinahe schon etwas eifersüchtig. Ich sah mich hierbei einen eigenartigen Verlust betrauern: Dass ich als Mann nie eine Mutter sein werde. Zumindest nicht in diesem Leben!

Schieflagen

Was „Maid“ außerdem schafft, in der Tiefe zu berühren: Die multifaktorielle Natur von Klassenunterschieden zu veranschaulichen. Es ist eben verdammt zäh, sich über Generationen hinweg aus dysfunktionalen und traumatisierenden Familiensystemen herauszuarbeiten. Es reicht meist nicht, sich zusammenzureißen und hart für sein Geld zu arbeiten. Man ist eben auch emotional und habituell verwickelt. Alex ist institutionellen Hilfsorganisationen skeptisch gegenüber eingestellt, hat verinnerlicht, auf sich alleine gestellt zu sein. Sie reinszeniert in ihrer von Gewalt geprägten Beziehung ein Kindheitstrauma. Ihre innere und äußere Welt sind brüchig. Auf eine glückliche Richtigstellung folgen zwei erneut hereinbrechende Schieflagen.

Disziplin und Mühe sind zwar eine gute Voraussetzung, um eine bessere Zukunft greifbar werden zu lassen. Die Serie führt aber auch eindrücklich vor, dass viel mehr als das nötig ist. Alex bricht mit ihrem problembehafteten Umfeld, darunter mit ihrem Vater, ihrem alkoholabhängigen Freund, letztlich auch in gewisser Weise mit ihrer uneinsichtigen manischen Mutter. Dagegen begibt sie sich in ein gesundendes Umfeld von sich unterstützenden Menschen. Sie selbst wird darin zur Unterstützerin. Sie wird aktiv und verlässt die Lähmung, die sie in ihrem retraumatisierenden Umfeld erfahren hat.

Erzähltechnischer Sadismus

Alex schafft es letztlich. Sie wird von einem College aufgenommen und ist Teil eines Stipendienprogramms. Hier bekommt dann doch noch der erwartete hollywoodeske Kitsch seinen Auftritt. Für die Erzählung funktioniert das. Ich habe als Zuschauer das hoffnungsvolle Element der Serie genossen. Und gerade aufgrund seiner realitätsnahen und psychologisch durchdachten Bitterkeit hat es erzähltechnisch das bisschen Sonne gegen Ende gebraucht.

Das hat aber natürlich nichts mehr mit der Realität zu tun. Auf eine, die es schafft, kommen vermutlich hunderte, die es nicht schaffen. Die Collegeplätze sind begrenzt. Sozialer Aufstieg ist deswegen eine tolle Geschichte und erzählenswert, weil es die Ausnahme ist, nicht die Regel. Dass Alex vermutlich auch am College und auf ihrem weiteren beruflichen und privaten Werdegang Traumata reinszenieren, dysfunktionale Verhaltensmuster wiederholen, unter ökonomischen Nachteilen leiden und zwischenmenschliche als auch systemische Ausgrenzung erfahren würde, entspricht viel eher der Realität. Aber nach einem solchen Sumpf von Armut und psychischem Leid keinen Ausweg zu zeigen, wäre erzähltechnischer Sadismus. Dafür gibt es ja schon die Wirklichkeit.

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