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Magazin für Filmkritik

Nicht-Person – „The Killer“ von David Fincher

Michael Fassbender als titelgebender Killer

Nach einer halben Stunde fragte ich mich: wovon erzählt dieser Film eigentlich? Einem fehlgeschlagenen Attentatsversuch? Einem Killer auf Rachemission? Nein, das ist der Plot, nicht die Geschichte. Also: was ist die Geschichte? Wovon erzählt dieser Film, der von mir verlangt, einem empathielosen, maschinengleichen Profikiller auf seiner brutalen Mission zu folgen, ohne dabei ermüdet abzuschalten? Warum sollte ich einer solch spärlich ausgeleuchteten, biografisch höchstens rudimentär umrissenen Figur folgen wollen?

Weitere zehn Minuten vergingen und allmählich dämmerte mir, was Fincher mit The Killer eigentlich im Schilde führt. Allmählich setzte sich alles zu einem stimmigen Gesamtbild zusammen. Die aseptische Kälte der ewig gleichen Hotelzimmer, die austauschbare Touristenklamotte, die unzähligen Pässe mit den unzähligen Pseudonymen – der von Michael Fassbender gespielte Protagonist ist selbst ein Pseudonym, ein wandelnder Nicht-Ort, so identitätslos wie die Produktwelten, die ihn umgeben. Amazon-Pakete, Baumarktartikel, mietbare E-Roller – in der anonymen Gegenwart ist es für den Killer ein leichtes, in der Masse zu entschwinden, als ein Teil von vielen unkenntlich zu werden, ohne je einen Abdruck zu hinterlassen. Die Namen, die der Killer zur Tarnung nutzt, sind unwichtig, denn was sie bezeichnen, ist ohne Kern.

Für das große Ganze, so sinniert der Killer am Anfang des Filmes, mache seine lebensverkürzende Arbeit keinen Unterschied – sie schlage keine Delle in die globalen Todesstatistiken. Der Mensch wird reduziert auf seinen numerischen Wert. Mit derselben Haltung scheint auch Fincher auf seine Hauptfigur zu blicken. Schon seit Jahren wird dessen Regiearbeiten eine unterkühlte, beinahe algorithmische Präzision nachgesagt, doch The Killer stellt im Vergleich zu etwa Mindhunter (2017-2019) oder Gone Girl (2014) eine weitere Verschärfung dieses Stils dar. Emotionale Distanz? Maschinenhafte Präzision? The Killer ist ein finaler Schritt in die Tiefkühltruhe. Obwohl der Film stets dicht an seiner Hauptfigur dran ist und sie via Voice Over unentwegt mit uns kommuniziert, kommen wir dieser nie nahe. Sie bleibt anonym – eine Nicht-Person. Durch ihren Blickwinkel kommt die Welt einer menschlich entvölkerten Ödnis gleich, die lediglich durch das innere Mantra zusammengehalten wird: halt dich an den Plan, keine Improvisation, Empathie ist Schwäche.

Wie aus einer soziologischen Vogelperspektive schauen wir auf das Geschehen herab. Die fehlende Bindung zu unserer Hauptfigur ist dabei kein Versäumnis, sondern eine Chance: sie macht den Blick frei, weg vom Individuum, hin zur Gesellschaft und den Systemen, in die dieses eingebettet ist. Und wir bekommen einen klaren Blick auf die Nicht-Orte, die unseren öffentlichen Raum organisieren und damit zugleich auf die Nicht-Personen, die sie hervorbringen – fragmentiert zwischen Linienflügen und falschen Pässen, McDonalds und Mietwagen. The Killer ist ein kalter Film für eine erkaltete Gesellschaft.

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