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Magazin für Filmkritik

Vom Freisein träumen – „Pilotinnen“ von Christian Petzold

Sophie (Nadeshda Brennicke) und Karin (Eleonore Weisgerber) am Wasser.

Dieses Debüt erinnerte mich sehr an all die französischen Filme der Neuen Welle, die ich (noch) nicht gesehen habe. Den Anfang machen zwei Hände auf einer Landkarte, die sich einander annähern, bis sie einen Treffpunkt ausgemacht haben. Das ist ein starkes Bild. Ein guter Anfang. Das gespenstische Hintergrundrauschen dieses Filmes bildet der Tod Frank Sinatras. Im Fernsehen laufen in Gedenken Wiederholungen seiner Filme und Auftritte, im Radio erklingen die Nachrufe. Eine Kollegin von Karin (Eleonore Weisgerber) kommentiert dies lakonisch mit: „Immer wenn etwas Schönes kommt, ist einer gestorben.“

Die Sehnsüchte seiner Figuren offenbart Petzold schrittweise über Andeutungen. Karin lernt Französisch mit einem Walkman, eine Kollegin erzählt ihr vom Auswandern nach Bali. Und da ist natürlich der Mann, der für uns außerhalb der Einstellung verborgen bleibt und dessen Hand sie zu Beginn auf der Landkarte berührt. Da ist Paris und der Eiffelturm. Der Traum, der in Ferne unverwirklicht wartet, bildet ein wiederkehrendes Motiv im Kino Petzolds, das natürlich schon immer ein hoffnungslos romantisches war.

Grund abzuhauen gibt es genügend: der Arschlochchef aus der männerdominierten Ellbogenökonomie treibt zu mehr Leistung an. 4000 Einheiten Make-Up-Produkte soll Karen pro Woche verkaufen. Derweil sitzt ihr die jüngere Konkurrenz bereits im Nacken: Sophie (Nadeshda Brennicke), die Freundin des Junior-Chefs (Udo Schenk), soll sie bei ihrer Verkaufstour begleiten. Ein ungleiches Paar, das sich nicht riechen kann, sich aber durch äußere Umstände miteinander arrangieren muss. Ein Plot, fast so alt wie das Kino selbst.

Später werden noch einige Betrügereien und Gaunereien eingestreut und der Traum vom großen Geld gelebt. Ein bisschen Bonnie und Clyde, ohne Clyde. Eher Thelma und Louise auf nüchtern. Und fast jedes Spurenelement aus der Karriere Petzold ist bereits hier zu finden: die präzisen Bildeinstellungen von Stammkameramann Hans Fromm, die Reminiszenzen an das Classical Hollywood, die Oldies aus dem Radio, die resoluten, allzu menschlichen Frauenfiguren und natürlich das ewige Motiv: Flucht. Weggehen. In die Ferne. Ausbruch. Abbruch. Selbstbestimmung. Einen Platz im Cockpit ergaunern und: vom Freisein träumen.


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