Bildsucht

Magazin für Filmkritik

Alltagskunst – zu einer Szene aus „The Office“ (S3E16)

Pam bei der Ausstellung ihrer Bilder.

Neulich war ich krank und hatte unverhofft Zeit. Also begann ich The Office (US) zu schauen. Darin kam mir eine der schönsten Szenen über Kunst unter, die ich je gesehen habe. Sie ist ganz einfach und genau darin liegt ihre Kraft. Und von einer Serie, bei der ich mich sonst eher fremdschäme (weil sie so gut ist), war ich plötzlich ehrlich berührt. Hier möchte ich erklären, warum.

Die Szene beginnt bei Minute 1:00.

Pam (Jenna Fisher), die Rezeptionistin des Büros, malt in ihrer Freizeit Bilder, die sie nun erstmals in einer Ausstellung neben anderen Künstlern präsentiert. Doch ihre Kunst stößt nur auf wenig Interesse. Es sind handwerklich simple, vor allem mit Wasserfarben gemalte Stillleben: von einer Vase mit Rosen, einem Tacker auf einem Tisch, einer Backsteinfassade, einer Tasse Kaffee, einer Schale Trauben und der Fassade jenes Büros, in dem ein Großteil der Serie spielt. Eine alte Dame zeigt freundliches Desinteresse gegenüber ihren Bildern, ansonsten wird sie vor allem mit Nichtbeachtung gestraft (wohl das grausamste Schicksal für einen Künstler überhaupt). Ihr Freund spricht ihr gut zu, aber seine warmen Worte resonieren nicht – er verteidigt nicht wirkliche ihre Kunst, sondern nur sie, er muss schließlich zu ihr halten. Schließlich überhört sie sogar den Freund ihres Arbeitskollegen Oscar (Oscar Nuñez), der ihre Bilder als mutlose Hotelkunst bezeichnet.

Pam ist entmutigt von der negativen Resonanz zu ihrer Kunst und bereits im Begriff, ihre Bilder abzuhängen, als plötzlich ihr Chef Michael Scott erscheint (Steve Carell in der Rolle seines Lebens). Dieser schaut sich die Bilder an und ist sofort begeistert: „Wow, you did these? Freehand? My god, this could be tracings.“ Ganz besonders das Bild ihres Büros hat es ihm angetan – er erkennt das Fenster zu seinem Büro und sein vor dem Gebäude geparktes Auto wieder. Seine naive, unschuldige Freude ist ansteckend. Vor allem ist sie aufrichtig. Doch was berührt Michael an diesen Bildern, die niemanden sonst zu interessieren scheinen?

Den Stein steinern machen

Bei der Beantwortung dieser Frage, möchte ich zweierlei Extreme vermeiden: einerseits einem gänzlich egalitären Argument das Wort reden, im Sinne von „alles ist Kunst und alles ist gleich viel wert“. Andererseits möchte ich auch nicht der elitären und aus meiner Sicht längst überholten Unterteilung von lowbrow und highbrow oder E- und U-Kultur folgen. Es ist gut, dass es Kritik gibt. Und ich denke, dass sich ein Kunstgeschmack durch die intensive Beschäftigung mit derselben natürlich verfeinert – und damit gleichsam die Urteilskraft über sie. Auf der anderen Seite sehe ich gesellschaftliche Kreise, die unter sich bleiben und damit zusammenhängend auch eine Kunst, die unter sich bleibt – mit den Themen, die sie behandelt, den Formen, die sie verwendet und dem Publikum, das sie adressiert. Gewisse Lebenswirklichkeiten finden in der Kunst darum kaum statt.

Hier kommen Pams Stillleben ins Spiel. Der Tacker, den sie auf dem Tisch ihrer Rezeption jeden Tag sieht, ist genau das: ein Tacker. Ein sonst unscheinbarer und nicht weiter bemerkter Alltagsgegenstand, der sich durch Pams Blick und Hände plötzlich zu Kunst verwandelt – jenseits seiner Funktion, die er im Alltag erfüllt. Zugleich erzeugt die Hinwendung zu diesem vermeintlich banalen Stück Alltag eine Vertiefung derselben. Der Tacker wird gewissermaßen realer und damit gleichsam der Alltag, dem er angehört. Was Michael Scott nun in Pams Bildern sieht, ist nicht weniger als sein eigenes Leben – widergespiegelt in Pams Malerei. Er realisiert, dass jemand hinsieht. Und er lernt anders und neu hinzusehen; seinen Alltag neu zu betrachten. Ganz in der Tradition des russischen Formalismus bedient sich Pam dem Mittel der Verfremdung, der sogenannten ostramenie. Die Verfremdung ist eine Antwort auf die automatisierte Alltagswahrnehmung.

Die Automatisierung verschlingt die Dinge, die Kleider, die Möbel, die Frau und den Schrecken des Krieges. […] Um nun die Empfindung des Lebens wiederzugewinnen, die Dinge wieder zu fühlen, den Stein steinern zu machen, gibt es das, was wir Kunst nennen. Ziel der Kunst ist es, ein Empfinden für die Dinge zu vermitteln, das sie uns sehen und nicht nur wiedererkennen läßt.

Sklovskij, Viktor (1987): Kunst als Verfahren

In gewissermaßen macht Pam Michael das Sehen gänzlich neu vor. Ihre Kunst wird zu einem Raum der Reflektion und transformiert die Dinge ihrer geteilten Alltagswelt. Den Stein steinern zu machen heißt, das sehende Publikum herauszufordern und zu provozieren; ihm das Sehen womöglich gänzlich neu vorzumachen. Die abgestumpfte, notwendigerweise zweckorientierte Alltagswahrnehmung wird durch die Verfremdung erkenn- und kontrastierbar. Das Sehen wird deautomatisiert – und wir werden (bestenfalls) zu Touristen unseres eigenen Alltags, voller Verwunderung für die Dinge und Menschen, die uns manchmal so unbemerkt umgeben.

Michael und Pam sehen nicht den hässlichen Funktionsbau, die menschenfeindliche Betonödnis, in der die Figuren der Serie tagein tagaus zu überleben versuchen, sondern sie sehen ihr Leben. Und die Kunst stiftet diesem Leben einen Sinn, indem sie uns lehrt, hinzusehen und den Dingen, wie sie vor uns liegen, neue Tiefen und neue Seiten abzugewinnen. Pam sieht hin und es ist ihr nicht egal. Michael sieht hin und es ist ihm nicht egal. Und das ist es doch, was Kunst macht: sie sagt uns, dass es nicht egal ist.

„That’s our building. And we sell paper.”

Michael Scott

Quelle: Sklovskij, Viktor (1987): Kunst als Verfahren [1916]. In: Die Erweckung des Wortes. Essays der russischen Formalen Schule, hrsg. Fritz Mierau. Leipzig: Reclam Verlag. S. 16-18

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