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Magazin für Filmkritik

Die 10 besten Kussszenen im Film

Arwen Aragorn Kiss

Der Kuss ist eine filmische Herausforderung. Es gibt zwar unendlich viele Kussszenen, aber wenige von Bedeutung. Ich würde sogar sagen: Die Geschichte des Filmkusses ist eine Geschichte des Scheiterns. Nicht, weil es keine gelungenen Versuche gegeben hätte, die sich berührenden Lippen überzeugend in Szene zu setzen. Die gibt es zuhauf. Aber der Kuss an sich hat schon etwas Ungreifbares an sich. Etwas, das sich nicht wirklich darstellen lässt.

Ein Kuss ist nicht einfach nur eine instinktive Leidenschaft, eine auf die Lustreaktion von Körpern sich entladende Handlung. Als „heißer Filmkuss“ kann er Teil einer solchen Handlung sein. Die Begleiterscheinung von Erotik. Aber ein Kuss kann nun mal auch ebenso beiläufig und kühl daherkommen wie ein Handschlag. Er ist auch eine Form der Vereinbarung und Kommunikation. Er kann eine Einleitung sein, aber auch ein Abschied. Er kann umsorgend gemeint sein, aber auch verlangend. Er kann voller Bedeutung sein und eine neue Welt und Zukunft aufschließen, aber gleichermaßen auch einfach inhaltsleer und ohne Verpflichtung. Mit einem Kuss alleine ist noch nichts gesagt. Er ist die Bedeutungsoffenheit als zwischenmenschliche Handlung. Deshalb ist er auch als filmisches Zeichen zum Scheitern verurteilt. Ist er als Crescendo inszeniert, begleitet von Streichmusik auf ihrem Höhepunkt, kann man die Enttäuschung und das unbefriedigte der Situation geradezu leiblich nachfühlen. Die Inszenierung suggeriert einen Höhepunkt, den der Kuss nicht ausfüllen kann. Es ist eben nur ein … ja, was ist er denn?

Platz 10: Der Ja-Sager

„Ja“ sagen, wo man „Nein“ dachte und meinte. Das bringt Chaos in die Alltagsroutine und lässt Möglichkeiten und fantastische Ideen Wirklichkeit werden. Ganz beiläufig, wie zu sich selbst gesprochen und nur halb ernst gemeint, fordert Jim Carrey als Carl in dieser unwirklichen Szene Zooey Deschanel als Allison zum Kuss auf. Und sie steigt darauf ein. Ohne mit der Wimper zu zucken. Ist sie doch beheimatet in einer Welt voller absurden Vorkommnisse und unerwarteten Wendungen. Ein Kuss, dessen einzige Motivation darin bestand, dass er eine Möglichkeit war, die zur Wirklichkeit werden wollte. Und die Küssende sich hierin herausgefordert sah.

Platz 9: Twilight

Vermutlich eine überaus kontroverse Wahl, weil zwischen Fremdscham, klebrigem Kitsch und aufrichtiger Lust changierend: Edwards und Bellas erster Kussversuch in Twilight. Und doch kann er als Sinnbild und Aushängeschild für jeden filmischen Kuss fungieren. Der Kuss ist ein Versprechen nach Mehr und entzündet das Verlangen. Aber er kann sein Versprechen nicht halten. Ob es nun eingelöst werden würde, oder wie hier versagt bleibt, letztlich wäre die Realisierung dessen, was die unerschöpfliche Fantasie des Verlangens andeutete, doch nur erschöpflich. Deshalb funktioniert auch nur der erste Twilight-Film.

Platz 8: Brokeback Mountain

Auch hier wieder: ein Versprechen ohne weltliche Realisierung. In Wirklichkeit haben beide Cowboys ihre Familien und ihr heterosexuell dargebotenes Leben. Die kurze Ausflucht zwischen den Hauswänden muss eine Enttäuschung bleiben. Sie ist Geheimnis und Versteck, beflügelt die Fantasie und kündigt eine Utopie an. Die zu verwirklichen unmöglich bleibt. Brokeback Mountain ist großartig, weil seine Handlung zugleich auch das Wesen des Films allgemein nachempfindet, der ja immer eine Vorstellung, ein ungelebtes Leben ist. Der Kuss ist die Pforte zu diesem ungelebten Leben.

Platz 7: Adventureland

Die Nähe der sich berührenden Lippen steht in keinem direkten Verhältnis zur Nähe der sich Küssenden. Für den einen bedeutet der Kuss eine Überwindung, Intimität und eine erste wirkliche Annäherung zweier fremder Seelen und Welten. Alles stimmt: das Licht, das Fahrtempo, die Musik. Es gibt kein Wohin, nur der hypnotisierende Rhythmus von Velvet Undergrounds „Pale Blue Eyes“ trägt ins Nirgendwo. Es knistert. Der Kuss liegt schon in der Luft. So zumindest in seiner Welt. Für sie kommt der Kuss überraschend und ist zunächst ohne große Bedeutung. Beide kommen von ganz woanders her. Aber beide finden auch irgendwie zusammen im Kuss, der alles und nichts bedeutet.

Platz 6: Tage des Donners

Neben der Tatsache, dass bereits zwei Kussszenen mit Kristen Stewart in dieser Liste vorgekommen sind, die wohl persönlichste Wahl. Gar nicht mal nur, weil die erotische Spannung zwischen Nicole Kidman und Tom Cruise eine der einnehmendsten der Filmgeschichte ist (das wusste auch Stanley Kubrick), sondern auch, weil die Szene sich – lange, bevor es zum Internettrend wurde – ASMR zunutze macht! Die professionelle, routinierte, ärztliche Nähe verschwimmt in Anbetracht des nonchalanten Flirtaufgebots des von Tom Cruise gespielten Cole. Die abgeklärte Distanziertheit der Ärztin Claire macht Cole rasend. beide sind in dem, was sie tun, hochprofessionell. Und in beiden verbirgt sich hinter der Fassade von Perfektion und Kontrolle eine unkontrollierbare Leidenschaft.

Platz 5: Der fantastische Mr. Fox

Das Gegenteil eines leidenschaftlichen Kusses. Ein Kuss wie ein Handschlag. Wie zwischen Liebespaaren, tausendmal bereits vollzogen. In nichts mehr neu und unerwartet. Aber im filmischen Zusammenhang die kurze außersprachliche Rückversicherung: „Ich stehe dir bei, komme was wolle. Wir gehören zusammen.“ Auch wenn der Hintergrund wie ein Wasserfall ist und alles sich bewegt, so ist das Liebespaar der Ruhepol. Ein Hafen der Sicherheit. Der zivilisierteste Kuss überhaupt; einem Vertrag gleichend. Und das von Füchsen in Anzügen und Kleidern, die währenddessen behaupten, wilde Tiere zu sein.

Platz 4: Herr der Ringe: Die Gefährten

Ein Kuss ist Menschlichkeit. Das Scheitern im Kuss, spezifisch das im Filmkuss, ist auch die Tragödie der Endlichkeit. Lippen, die sich berühren und alt werden. Arwen entscheidet sich für die Verwirklichung der gelebten Liebe entgegen der Vergöttlichung der Liebe als transzendentes Wesen. Sie entscheidet sich für Aragorn. Und dadurch erhält deren Liebe den Abglanz des Göttlichen. Ein Kuss wie ein Gemälde, das die Zeiten überdauert.

Platz 3: Titanic

Der gelungenste Versuch eines Filmkusses als Crescendo. Ein Kuss, der nichts besiegelt und festhält, sondern die stille Offenheit und Weite des Meeres vor sich hat. Zart, geradeso haltgebend umschlungen, währenddessen der Horizont noch genügend Freiheit bereithält. Eine Freiheit, die bereits vergangen ist, wie der weiche Schnitt am Szenenende verkündet. Auch hier ist der Kuss wieder keine Besiegelung einer Partnerschaft. Er bleibt die Andeutung einer unverwirklichten Möglichkeit. Er schließt, wie das offene Meer, ein unendliches Potenzial auf. Und damit auch eine unendliche nie zu verwirklichende Sehnsucht.

Platz 2: Drive

Der erste Kuss als ein Abschiedskuss. Er weiß bereits: „Was im Folgenden passieren wird, macht mich unumkehrlich für sie zum Monster. Die Tage, die wir zusammen hatten, gemeinsam ein Kind behütend, spielend und zur Ruhe kommend im Sonnenschein, werden sogleich für immer verloren sein. Denn die Schönheit darin war nur eine Idee. Wahrheit und Wirklichkeit sind monströs.“ Er schiebt sie ins Licht, selbst im Dunkeln, den einen Kuss einfordernd, der zeigt, was hätte werden können, jäh aber durchbrochen wird von der Realität, die Schmerz und Gewalt ist. Der Aufzug als Sinnbild für eine Zwischenwelt. Zwischen dem höheren Ideal der verwirklichten Liebe oben und der tatsächlichen Spirale von Gewalt unten. Ein Kuss als Zäsur, Übergang und Abschied.

Platz 1: Before Sunrise

Platz 1 besteht im Grunde aus zwei Szenen. Die erste Szene, die Kussszene selbst, zeigt einen unspektakulären Kuss, zögernd erfragt und heraufbeschworen, der eigentlich zu spät kommt. Schon längst lag der Kuss in der Luft und wird hier nur, wie aus Filmszenen entnommen, an den Sonnenuntergang und die intime Zweisamkeit im Riesenrad gekoppelt. „In so einem Setting und zu so einem Moment küsst man sich“. Die Szene ist die Bebilderung des Scheiterns als Wesen des Filmkusses und verdient gerade deshalb den ersten Platz. Irgendwie klingt darin bereits der Ernst und die Schwere einer real werdenden Beziehung mit. Der Kuss als Abmachung. Wo aus dem aufregenden Spiel und der anspruchslosen Begegnung dieser zwei Fremden eine Wirklichkeit wird. Die ja auch dem Wesen des Films entgegenläuft.

Die zweite Szene, eigentlich Platz 1, ist eine Kussszene ohne Kuss. Sie geht dem eigentlichen Kuss voraus und ist eine schüchterne und abwartende Annäherung, ein aneinander vorbeischauen und vorbeiträumen, wo noch nichts realisiert und alles möglich ist. Die Grenze zwischen dem Kuss und seiner Verwirklichung ist so schmal, dass Fantasie und Realität beinahe zusammenfallen, wo Zukunft und Gegenwart sich berühren.


Honorable Mention: Call me by your name

Ein Kuss im Zeichen der Leidenschaft und des Verlangens. Selbstbewusst, spielerisch, sinnlich. Keine das Wesen des Films ergreifende Szene, dafür aber ganz einfach gut inszenierte und gespielte Erotik.


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