Bildsucht

Magazin für Filmkritik

Die 10 besten Tanzszenen im Film

Margot Robbie Dance Scene Babylon

Filmkunst und Tanzkunst sind seit jeher miteinander verschwistert. Die Geschichte des Films ist auch eine Geschichte des Tanzes. Bewegte Bilder sind immer auch eine Choreografie. Von Landschaften, Ereignissen und Körpern. Filme lösen Gefühle aus, konservieren sie, machen sie verstehbar und finden eine Sprache für sie. So auch der Tanz. Deswegen sprechen gut gemachte Filme – auf der Ebene des bewegten Bildes zumindest – oft auch eine Tanzsprache. Sie haben einen eigentümlichen Rhythmus und Stil, wie eine gelungene Choreografie.

Für mich sind die besten Tanzszenen nicht unbedingt die hochstilisierten, nach den Wertmaßstäben des Tanzsports bemessenen, Choreos. Die sind für sich genommen erstaunenswert. Aber ein guter filmischer Tanz muss sich gefühlsmäßig in den Gesamtkontext der Erzählung, also der vorangegangen und der bevorstehenden Szenen, einbetten. Ein solcher Tanz muss nicht für sich überzeugen. Kann er auch gar nicht. Sondern irgendeine nur noch schwer fassbare narrativ aufbereitete Gefühlslage findet ihren expressiven Ausdruck in der Bewegung von Körpern. Eine gute Tanzszene ist also kein Selbstzweck, sondern sie ist aus der Notwendigkeit geboren, in tänzerisch sich bewegenden Körpern auszudrücken, was sich anders nicht mehr ausdrücken ließ. Oder was sich eben so am besten ausdrücken ließ. Keine abgefilmte Tanzkunst, sondern Filmkunst, die sich der Mittel des Tanzes bedient.

Platz 10: Spider-Man 3

Selbstbewusste Tanzbewegungen als Symbol des verinnerlichten Bösen. Peter Parker, der einst schüchterne stocksteif verkopfte Junge von nebenan, präsentiert der Welt nun seine neu gewonnene Bewegungssicherheit. Die Szene trifft für mich den Sweet Spot zwischen Fremdscham und Bewunderung. Man kann nicht weggucken. Die charakterliche Veränderung von Peter Parker so drastisch anhand eines so schlichten Tanzstils (der mit einer solchen Selbstsicherheit vorgetragen wird) darzustellen, verdient Achtung. Die Szene wirkt wie eine dieser aus dem Final Cut rausgeschnittenen Szenen eines Films. Solche, die irgendwie doch ein bisschen „drüber“ sind und der Stimmung des Films entgegenwirken könnten. Das Selbstbewusstsein, diese Szene im Film zu lassen, gleicht dem Selbstbewusstsein des bösen Peter Parkers.

Platz 9: Pulp Fiction

Die Paartanzszene in Pulp Fiction. Was zunächst wie eine spaßige Zwischeneinlage wirkt, setzt in Wahrheit den Ton für die erotische Spannung zwischen Mia und Vincent. Der Tanzstil beider ist distanziert und doch nähern sie sich an. Beide sind cool und doch erweichen die rhythmischen Bewegungen deren aufgesetzte Unnahbarkeit. Die erotische Spannung ist zugleich auch eine filmische Spannung, weil wir als Zuschauende wissen, welche Gefahr eine romantische Begegnung mit der verheirateten Mia bedeuten würde.

Platz 8: Vielleicht lieber morgen

Die Szene ist exemplarisch für jede Tanzszene dieser Art: Der schüchterne Protagonist wagt den Schritt vom teilnahmslosen Beobachter hin zum im Geschehen involvierten. Um zu tanzen, muss man ein Stück weit das übermäßige Reflektieren und Grübeln hinter sich lassen. Tanzen heißt, sich einzubringen, sich dem Moment hinzugeben und damit auch, seine Schutzmauern zu verlieren. Das kann ein mutiger Schritt sein.

Platz 7: Babylon

Sich verlieren, Raum und Zeit zu vergessen und alle Grenzen zu sprengen: das sind die Stichworte für Margot Robbies Tanz als Nellie LaRoy in „Babylon“. Der Film reflektiert über die Unmöglichkeit, den vorüberziehenden Moment einzufangen und irgendwas – so schön es auch ist oder war – festzuhalten. Alles ist in Bewegung. Nichts lässt sich feststellen. Auch hier setzt der Tanz den Ton für den Film, für die Beziehung der beiden Protagonisten und auch die Beziehung des Kinopublikums zum Film. Nellie LaRoy ist die personifizierte grenzensprengende Bewegung, die unaufhörlich fortschreitende Zeit, die Veränderung, die sich nicht aufhalten lässt. Manny, der sich in Nellie verliebt, ist der Zuschauer. Er möchte die Ekstase verstehen, den Moment einfangen, Nellie zur Ruhe bringen und an sich binden. Das klappt natürlich nicht. Und all’ das sehen wir bereits in der großartig inszenierten Tanzszene zu Beginn des Films.

Platz 6: Psychobitch

Statt am Anfang die Stimmung des weiteren Films zu setzen, kann ein Film auch erzählerisch in einer Tanzszene münden. Um hier dann in der Bewegung von Körpern auszudrücken, was in Worten plump daherkäme. „Psychobitch“ ist eine Liebesgeschichte zwischen zwei Teenagern, in der es um die Polarität zwischen erfolgreicher Eingliederung in gesellschaftliche Normen und dem ekstatischen Ausbruch aus diesen Normen geht. Ein klassischer Konflikt im Coming-of-Age-Genre. Hier aber eindrücklich durch den Tanz vermittelt: ein anderes Lied hören als der „Mainstream“; in einem anderen Rhythmus heimisch sein als es von einem erwartet wird.

Irgendwo schreibt der französische Schriftsteller und Philosoph Roland Barthes, dass ein gelungenes Zusammenleben vom harmonischen Ineinandergreifen von Rhythmus und Melodie mehrerer Personen abhinge. Misskommunikation nicht bloß als inhaltliche Verfehlung, sondern als eine den Körpern innewohnende Inkongruenz im Rhythmus. In „Psychobitch“ findet das Liebespaar, entgegen der gesellschaftlichen Melodie, in seiner eigenen Melodie zueinander.

Platz 5: Moonrise Kingdom

Die Tanzszene in „Moonrise Kingdom“ trägt mehr zur Charakterzeichnung bei als jedes Narrativ, jedes Wort und Kostüm. In den Bewegungen der beiden kommt so viel Unsagbares zum Ausdruck. Der Tanz als filmisches Mittel, nicht als abgefilmte Tanzkunst!

Platz 4: Midsommar

Rausch, Ekstase und das Gefühl der Auflösung in einem größeren Ganzen. Im Tanz zur Krönung der Maikönigin in „Midsommar“ kommt die anarchische Dimension des Tanzes zu Wort. Dani wird mitgerissen. Sie erfährt die berauschende Wirkung nicht bloß der Substanz, die sie zu sich genommen hat, sondern auch des Tanzes. Wo hört der eigene Körper auf und wo beginnt der Körper der anderen. Im gemeinsamen Tanz verwischen die Grenzen. Die Gruppe bekommt ihr organisches Eigenleben. Dani kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Sprache und Verständnisprobleme verlieren ihre Bedeutung. Unter der narkotischen Wirkung des Tanzes wird die rationale Kraft des gesprochenen Wortes in die zweite Reihe verwiesen. Kann die berauschende Wirkung der rhythmisch sich bewegenden Gruppe auch eine Gefahr darstellen?

Platz 3: Der Rausch

Mads Mikkelsen in „Der Rausch“ ist nicht zu stoppen und fliegt hoch. Auch hier ist der Tanz wieder einmal Ausdruck für überschäumende Gefühle, für einen Körper, der sich nicht mehr zurückhalten kann und möchte. Freiheit und Ausbruch für einen Moment, auch wenn wir alle die Konsequenzen der bald wieder eintretenden Nüchternheit kennen. Egal. Einfach springen des Fluges willen! Einen Aufprall befürchten? Nicht im freien Flug, nicht im Tanz. Die Argumente für den gelebten Augenblick der Ekstase überwiegen den der vorausschauenden, dafür stocksteifen Leblosigkeit.

Platz 2: Harry Potter und die Heiligtümer des Todes: Teil 1

Wohl die schönste und wahrhaftigste Szene der Harry Potter-Reihe. Der freundschaftliche Versuch, aufzumuntern. Trotz des Grauens in der Welt, trotz der misslichen Lage und den noch bevorstehenden Hürden, einen kleinen warmen Moment der Zutraulichkeit im Tanz schaffen. Eine vorsichtige zarte Berührung, die nichts verlangt. Tanz als Mittel, der Empathie Ausdruck zu verleihen: Ich sehe dich, ich fühle deinen Schmerz und möchte dir beistehen, auch wenn mir die Worte dazu fehlen. Ich bin bei dir.

Platz 1: Mommy

Eine Szene, die so nur Xavier Dolan hinkriegt! In keiner anderen filmischen Tanzszene kommt für mich das Gefühl besser zum Ausdruck, sich fallen zu lassen und vor allem sich schön, geliebt und gehalten in seinem eigenen Körper zu fühlen. Augen zu. Spüren. Komme, was wolle: das hier, jetzt gerade, ist es Wert. Alles wird gut! Mit den Worten von „The Kinks“: Don’t forget to Dance!


Honorable Mention: Ritter aus Leidenschaft

Keine der großartigen umhauenden Tanzszenen, sollte hier aber dennoch nicht unerwähnt bleiben. Heath Ledgers affektierte Unbeholfenheit, wartend auf die Frau, die ihm zur Seite steht und ihn rettet, ist zum zergehen.


Header: © Paramount Pictures