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Magazin für Filmkritik

„Helden der Wahrscheinlichkeit“ – Männergefühle im Blick

Helden der Wahrscheinlichkeit

Wovon handelt der Film?

Wer die Filme von Regisseur und Drehbuchautor Anders Thomas Jensen kennt und bestenfalls mag, wird auch mit „Helden der Wahrscheinlichkeit“ seinen Spaß haben. Na gut, man sollte vielleicht höchstens noch daran denken, den Film in passender Stimmung zu schauen. Besonders geeignete Stimmungslagen: melancholisch, nachdenklich, in sich versunken, vertieft in große Fragen. Dann kann der absurde Humor als Heilung fungieren. Wer sowieso schon zum Lachen aufgesetzt ist, braucht keine Heilung und amüsiert sich – ohne allzu große Identifikation mit den ernsten Charakteren – am Geschehen.

Was sind das für Charaktere? Eine Gruppe von durch Schicksalsschläge gezeichnete Männer mittleren Alters, deren je individueller Umgang mit ihren Rückschlägen wohl einen Großteil der Lacher zu verschulden hat. Nur an der Oberfläche handelt der Film von philosophischen Fragen nach Kausalität, Wahrscheinlichkeit und dem (fehlenden) Sinn von Lebensereignissen. Darunter zeichnet er eine psychologisch durchdachte Blaupause der beschädigten Emotionalität moderner Männlichkeit.

Selbsthilfegruppe für Männer

Schon der Titel ist gewissermaßen das Verhohnepipeln einer Männlichkeit, die auf ritterlichen Attributen wie Stärke, Mut oder heroischer Standhaftigkeit beruht. Helden, die ihre Kämpfe mithilfe von Wahrscheinlichkeitsrechnung ausfechten, sind albern. Männer, die einen ritterlichen Kampf im Dienste der Logik führen, sind in einer alogischen Gefühlswelt an sich schon witzige Figuren. Otto (Nikolaj Lie Kaas) und seine Freunde Lennart (Lars Brygmann) und Emmenthaler (Nicolas Bro), allesamt schräge Nerds, sind solche ritterliche Witzfiguren. Ernst wird es, wenn sich diese Verfechter mathematischer Strenge an einen wirklichen Kämpfer hängen: den Berufssoldaten Markus (Mads Mikkelsen). Durch seine physische Gewaltbereitschaft wird der in Köpfen ausgebrütete Rachefeldzug der drei Nerds nun ganz real. Zumindest innerhalb der filmischen Welt. Für die Filmzuschauer wird durch die Zusammenführung der Nerds mit dem Soldaten das invalide und vor allem unberührte Gefühlsleben der vier Männer konsequent vorgeführt.

Lennart und Emmenthaler wissen von Ottos Leidensgeschichte – dem selbstverschuldeten Verlust seines Kindes – nicht durch emotionale Anteilnahme, sondern durch Internetrecherchen. Markus leugnet sowieso jegliche Gefühlsregung in Bezug auf den Tod seiner Frau. Lennarts und Emmenthalers Schicksalsschläge offenbaren sich nur indirekt. Und dennoch helfen sich die vier Männer gegenseitig, ohne es zu wissen. Die Helden oder Ritter bilden eine Art Selbsthilfegruppe für emotional versehrte Männer, die keine Mittel dafür haben, ihren Schmerz direkt zu adressieren. Zusammen reiten sie wütend ihrer kausal begründeten vermeintlichen Heilung durch Rache entgegen, statt sie in ihrem Inneren zu erkennen.

Am Ende der Rechnung kommen die Gefühle

Markus Tochter Mathilde (Andrea Heick Gadeberg) bildet als weibliche Figur den Gegenpol. Sie fordert von ihrem Vater emotionale Anteilnahme, möchte ihrem eigenen Verlustschmerz Ausdruck verleihen. So kommt es zu einer brillanten Szene, in der der absurde schwarze Humor Jensens für einen Augenblick in die subtile Traurigkeit einer Bewusstwerdung umschwingt. Der Bewusstwerdung rationaler Unzulänglichkeit gegenüber dem Leben. Mathilde hat ihre Zimmerwand mit kleinen Zetteln behangen, in denen sie Ereignis für Ereignis rekonstruiert, wie es zum Tod ihrer Mutter gekommen ist. Otto entdeckt diese Wand und zeigt Begeisterung für diese Art der Trauerbewältigung. Emotional aufgerührt gerät er in eine gedankliche Rage und führt Mathilde die Unmöglichkeit einer vollständigen kausalen Rekonstruktion vor. Denn um diese zu bewerkstelligen, müssten auch die Ereignisse der Leben der Mitmenschen berücksichtigt werden, die in den einzelnen Ereignissen von Mathildes Leben eine Rolle spielten und so weiter … Mathilde entgegnet in mitfühlendem Ton: „Ich weiß.“ Fast so als habe sie ein wenig Mitleid mit Otto, der erst eine Rechnung zu Ende denken muss, um die Bedeutung des Zwischenmenschlichen und damit von Gefühlen zu erkennen oder zumindest erst einmal anzuschneiden. Mathilde hat sich nicht wirklich versprochen, durch eine kausale Rekonstruktion von Ereignissen, ihre Leiderfahrung vollends zu bewältigen und aufzulösen. Otto gewissermaßen schon.

Für mich ist die Kernaussage des Films: Es wird Zeit, dass Männer ihre Gefühlslagen erkennen, durchleben und teilen. Andernfalls brechen die Gefühle als physische oder einseitig rationale Gewalt hervor. Und neben seiner wichtigen und guten Aussage macht der Film aufgrund seiner schrägen Charaktere durchweg Spaß.

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