Bildsucht

Magazin für Filmkritik

Macht & Verführung – „Disclosure“ von Barry Levinson

Die Frau als Täterin

Ein wilder Film. Zuerst vermutet man einen gewöhnlichen Erotikthriller, wie ihn die Neunziger massenweise hervorgebracht haben. Dann wandelt sich Disclosure in ein waschechtes MeToo-Drama und behandelt einen sexuellen Übergriff zwischen der Chefin der CD-ROM-Abteilung (!) einer IT-Firma, Meredith Johnson (Demi Moore), und ihrem Angestellten Tom Sanders (Michael Douglas). Meredith versucht Tom während eines Meetings zu verführen, es kommt zu ersten, sexuellen Handlungen, doch dann weist Tom seine Chefin zurück. Am nächsten Morgen muss er dann überrascht feststellen, dass seine Chefin intern Beschwerde wegen sexueller Belästigung gegen ihn eingereicht hat, und es kommt zu einer juristischen Auseinandersetzung.

An dieser Stelle könnte sich der Film zu einem spannenden Gerichtsthriller entwickeln, indem er die Perspektiven der beiden Streitparteien detailliert seziert und aufarbeitet. Viel ließe sich sagen über die Eigenheiten und Feinheiten des juristischen Prozesses, die Fallstricke und Nuancen der anwaltlichen Befragung (Allan Rich mimt grandios den abgebrühten Anwalt) oder die Tücken der Erinnerung. Auch ließe sich anhand der vorangegangenen, ambivalenten Sexszene viel über Konsens, Machtdynamiken und Geschlechterrollen lernen. Dem Film gelingt sogar das Kunststück, über die Perspektive Merediths, mögliche blinde Flecken in der breiten MeToo-Diskussion aufzudecken:

“You wanna put me on trial here? Let’s at least be honest about what it’s for! I am a sexually aggressive woman. I like it. Tom knew it, and you can’t handle it. It is the same damn thing since the beginning of time. Veil it, hide it, lock it up and throw away the key. We expect a woman to do a man’s job, make a man’s money, and then walk around with a parasol and lie down for a man to fuck her like it was still a hundred years ago? Well, no thank you!“

Meredith Johnson

Wire-Grid-Extravaganza

Der Film entscheidet sich stattdessen eine neue Richtung einzuschlagen: plötzlich wird Disclosure zu einer Art IT-Wirtschaftsthriller und erzählt von einer Firmen-internen Verschwörung gegen Tom, der an einer Stelle in ein neu entwickeltes Virtual Reality-Daten-Hub „eindringt“ (das Hub sieht aus wie das Sternen-Archiv bei Revenge of the Sith) und versucht, Beweise für die Verschwörung zu finden, ehe diese von Meredith für immer gelöscht werden. Meredith wird zur Verbildlichung dieses Wettlaufs in der Virtual Reality als eine Art Wire-Grid-Statue dargestellt, die Tom mit seiner VR-Brille und dem Datenhandschuh bedrohlich näherkommt. Bespielt wird diese Szene dann auch noch (so wie der gesamte Film) vom großen Maestro Ennio Morricone, der verzweifelt versucht, der tonalen Sprunghaftigkeit des Filmes musikalisch beizukommen.

Das klingt leider unterhaltsamer als es am Ende ist. Die interessanten Ansätze, nämlich die juristische und soziale Auseinandersetzung mit sexueller Belästigung, Geschlechterrollen und Machtdynamiken sowie die Beziehung zwischen Tom und seiner sehr differenziert gezeichneten Ehefrau Susan (Carolina Goodall), werden leider auf halber Strecke liegengelassen, um stattdessen plumpe Firmenintrigen und sensationell schlecht gealterte CGI-Effekte in den Mittelpunkt zu rücken. Dennoch möchte ich jedem, der etwas für sleaziges Neunzigerjahre-Kino übrighat, zu diesem merkwürdigen Flickenteppich raten.


Headerbild und Galerie: © Warner Bros.