Zeit zu verweilen – „Presence“ von Steven Soderbergh

Die Idee
Gehört zu jener Sorte Seherlebnis, bei dem ich mich nach der grandiosen Schlusseinstellung zu einer Jubelarie hinreißen lassen möchte, die der Film, so im Ganzen, nicht wirklich verdient hat. Die Prämisse ist natürlich brillant, jene Sorte Idee, die mich auch lange nach der Sichtung noch auf geistige Reisen schickt, mich aber auch emotional über die nächsten Tage sicherlich noch begleiten wird. Zuletzt hatte ich ein derartiges Hochgefühl über eine Filmidee bei Arrival oder dem kleinen feinen Coherence. Eine geisterhafte Präsenz nicht nur in einer Art geografischen Zwischenraum zu verorten, sondern auch zeitlich zu versetzen, das ist wirklich spannend! Vielfilmer Soderbergh und Drehbuch-Veteran Koepp (Liebe für Panic Room, always) werfen mit Presence nicht nur ein völliges neues Licht auf die titelgebende Präsenz, sondern auch Geistererscheinungen im Film generell.
Es gibt eine Reihe von Geisterfilmen, die dem Geist, also dem Anderen und Unbekannten, mit großer empathischer Neugierde begegnen, etwa Jennifer Kents Beitrag The Murmuring aus der Anthologie-Serie Cabinet of Curiosities oder Personal Shopper von Olivier Assayas. In diesen Beispielen bleiben wir jedoch immer Beobachter und Ermittler geisterhafter Erscheinungen. In Presence wird die Kamera und damit der Zuschauer selbst zum Gespenst. Diese perspektivische Vergemeinschaftung mit dem Anderen (wir sehen, was der Geist sieht), eröffnet völlig neue emotionale Anknüpfungspunkte. Die Enthüllung, dass es sich bei der Präsenz gewissermaßen um einen Geist aus der Zukunft gehandelt hat, der erst am Ende des Filmes zum Zeitstrahl des Filmes aufschließt, entlässt den Zuschauer dann auch mit einem echten, emotionalen Tiefschlag aus dem Film, insbesondere in Kombination mit dem verstörenden Schlussschrei von Lucy Liu, der Laura Palmers Abschiedsschrei aus Twin Peaks – The Return Konkurrenz macht.



Die Umsetzung
Aber, und damit komme ich zur anderen Seite der Medaille, Presence ist auch ein Film der verschenkten Möglichkeiten. Die Figuren sind oft holzschnittartig, gerade der Bruder (Eddy Maday), ein erfolgreicher Highschool-Schwimmer, und die dauerbeschäftigte, mit dem Telefon verwachsende Mutter (Lucy Liu) scheinen vor allem dem Zweck zu dienen, unverdiente familiäre Konfliktsituationen heraufzubeschwören (der Streit am Essenstisch) und einen skeptizistischen Gegenpol zur Spiritualität von Vater (Chris Sullivan) und Tochter (Callina Liang) zu bilden. Viel tiefer fallen auch diese nicht aus, aber gerade der Vater ist einfach ein lieber Bär, der einige schöne Worte zu den Grenzen von Wissen und Wahrnehmung verliert.
Auch übertrug sich über die Bewegungen der Kamera für mich nie so wirklich das glaubhafte Gefühl, einem Geist zu folgen. Denn diese Kamera (Soderbergh) kadriert Einstellungen, fährt dramatische Schwenks und „läuft“ sogar recht normal die Treppe rauf und runter. Irgendwie hätte ich mir in den Kamerabewegungen mehr Idiosynkrasie gewünscht, vielleicht auch mehr Irritation und Befremdung, die mich an ihren übernatürlichen Urheber glauben lässt. Neben der Kameraarbeit sticht auch die (zum Glück sparsame) Einbindung eines sehr klassischen, orchestralen Scores auf, der die konzeptionellen und formellen Innovationen allzu konventionell begleitet.
Unterm Strich wäre hier viel mehr drin gewesen. Gerade die recht knackige Laufzeit und Szenenlänge sowie das schnelle Abblenden am Ende von Szenen hat mir Zeit geraubt, die ich gerne noch mit der Präsenz und der Familie verbracht hätte; notwendige Zeit, um sich wirklich mit den Figuren zu verbinden. So bleibt immer eine Distanz. Darum mein Verbesserungsvorschlag: mehr Verweildauer mit der Präsenz und der Familie, in diesem Haus und seiner Geschichte. Vielleicht ein Schuss aus Ozgood Perkins I Am the Pretty Thing That Lives in the House und dessen gespenstischer Lethargie, formaler Befremdung und vermittelten Zeitgefühls. Das ist alles, worum ich bitte, Herr Soderbergh: mehr Zeit zu verweilen.
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