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Magazin für Filmkritik

Bilder lügen nicht – über ein Kino der Verschwörung(stheorien)

Rosemarys Paranoia

Wenn ich an ein Kino der Verschwörung denke, kommt mir zuerst Roman Polanski in den Sinn. Im Laufe seiner nunmehr sechs Jahrzehnte umspannenden Filmkarriere verstand es der französisch-polnische Filmemacher wie kein zweiter, seine Figuren in eine ontologische Sinnkrise zu stürzen – sei es die von Wahnvorstellungen geplagte Carol Ledoux (Catherine Deneuve) aus dem klaustrophobischen Frühwerk Repulsion (1965), die von Mia Farrow gespielte Rosemary aus Rosemary‘s Baby (1968) oder der Buchhändler Dean Corso (Johnny Depp) aus dem apokalyptischen Recherchethriller The Ninth Gate (1999). Fast den gesamten Handlungsverlauf befinden wir uns mit den Protagonisten dieser Filme in einer Schwebe der Uneindeutigkeit: wird die Welt um uns herum immer verrückter oder sind wir es, die allmählich den Verstand verlieren?

Das Spiel dieser Filme ist eines mit der Wahrnehmung seines Publikums, das Polanski über die begrenzte, subjektivistische Erzählweise an seine Protagonisten koppelt. Unser Urteil über die Wirklichkeit und die Legitimität unserer Paranoia ist dabei genährt von leisen Verdachtsmomenten, die sich auch genauso gut als bloße Hirngespinste herausstellen könnten. Der Zweifel an der eigenen Wahrnehmung wächst sich bei Polanski auf diese Weise zu einer waschechten Identitätskrise aus. Bin ich wirklich der, der ich zu glauben bin? Ist die Welt wirklich das, was sie vorgibt zu sein?

Verschwörungen im Kino

Die Verschwörung bildet aber auch abseits (eher) cinephiler Kreise eine beliebte Trope in den Erzählungen Hollywoods – denken wir nur an die überaus erfolgreichen Buchadaptionen The Da Vinci Code (2006) und dessen Fortsetzung Angels and Demons (2009), die beliebte Verschwörungstheorien um historische Geheimgesellschaften zum Ausgangspunkt einer detektivischen, symbolträchtigen Hetzjagd nehmen. Denken wir auch an Oliver Stone, der ausgewählte Verschwörungstheorien zur Ermordung John F. Kennedys in JFK (1991) zu einer kohärenten, komplex montierten Verschwörungserzählung zusammenführte. Auch an die übersehenen, aber umso sehenswerteren Blow out (1981) von Brian de Palma und David Robert Mitchells Under the Silver Lake (2018) möchte ich erinnern.

Am Grunde jedes zweiten Spionagefilmes, von Bond bis Bourne, steht eine Form von Verschwörung, ebenso in etlichen Superhelden- und Actionflicks. Jede kriminelle Vereinigung gründet sich auf einer verschwörerischen Absprache, jeder Mafiafilm, ein nicht unbeträchtlicher Teil von Scorseses Filmographie also, kann zum Kino der Verschwörung hinzugezählt werden. Oft sind es die staatlichen Institutionen, die dabei von feindlichen, oft inneren Kräften unterwandert werden, etwa die Bostoner Polizei in The Departed (2006), die CIA in Three Days of the Condor (1975) oder die fiktive Behörde S.H.I.E.L.D in Captain America: The Winter Soldier (2014).

Eine Spur aufnehmen

Das Kino wäre ohne Verschwörungen also um einiges ärmer. Die heimlichen Machenschaften, die doppelten Böden und die Entlarvung ebenjener Netze, die aus dem Verborgenen die Geschicke der Welt bestimmen, bilden schließlich ausgezeichneten Nährboden für spannende Geschichten. Am Grunde dieser Geschichten steht die Überzeugung, dass die Welt nicht so ist, wie sie scheint. Dabei vollziehen solche Erzählungen oft dieselbe, narrative Doppelbewegung: 1. die Hauptfigur erkennt die Lüge, die ihre Welt ist, und 2. sie entlarvt die Lüge und bringt die Wahrheit ans Licht.

Wo, wenn nicht im Kino, können wir also auf eine Antwort hoffen, die der komplexen Wirklichkeit zumindest für ein paar Stunden ihre gleichermaßen einschüchternde wie überwältigende Strahlkraft nimmt. In den Bilderwelten des Kinos gibt es keine Zufälle – jede Einstellung ist arrangiert, jede Figur und jede ihrer Handlungen das Produkt eines dramaturgisch ausgefeilten Drehbuchs. Unsere Faszination mit Geschichten und unsere Faszination mit Verschwörungstheorien sind dabei gar nicht so unterschiedlich – sie entstammen denselben, psychologischen Bedürfnissen nach Kausalität und Sinnzusammenhängen, folgen demselben Reflex, einer (in ihrer Komplexität) immer sichtbarer werdenden Welt entfliehen zu wollen. Ja, ich würde sogar behaupten, dass zwischen dem Kino und der Verschwörungstheorie ein ganz unmittelbarer, struktureller Zusammenhang besteht. Doch um diesen Zusammenhang verstehen zu können, müssen wir zuerst ein paar Jahrzehnte zurückgehen …

Die Welt an deinen Fingerspitzen

Oh, Marge, you gotta get on the Net. It’s got all the best conspiracy theories. Did you know that Hezbollah owns Little Dolly Snack Cakes? This stuff will rock your world.

Homer Simpson (The Simpsons, S18 / E395 „Marge Gamer“)

Der Medienwissenschaftler John David Seidler sieht in der Mediengesellschaft um die Jahrtausendwende zwei, zum Teil konkurrierende Phänomene: zum einen die dominanten Massenmedien, insbesondere das Fernsehen, und zum anderen das Internet als Teil der neuen Medien. Dieses stellte sich durch seinen niedrigschwelligen Zugang und das Fehlen zentralisierter Gatekeeper als eine Art Supermedium für Verschwörungstheorien heraus. Verschwörungstheorien seien durch das Internet nicht nur bestärkt worden, sondern durch „bestimmte Vorstellungsbilder des Medialen“[1] fast schon automatisch hervorgebracht worden. Vorstellungsbilder, die sich auch im Kino dieser Zeit exemplarisch verdichten. In Tony Scotts Überwachungsthriller Enemy of the State (1998) pervertiert sich der nationale Sicherheitsapparat zu einem Orwellschen Albtraum, in Wachowskis The Matrix (1999) findet sich der Hacker Neo in einem virtuellen Gefängnis wieder. In beiden Filmen kommen sowohl die Verheißungen als auch die Gefahren des damaligen Medienwandels, insbesondere des aufkommenden World Wide Web, eindrücklich zum Ausdruck.

Mit dem Ende der network era in den USA der späten 1980er-Jahre, in der wenige Sender wie ABC, NBC, CBS und eine Reihe Lokalsender den Fernsehmarkt untereinander aufteilten, differenzierte sich mit dem Aufkommen des Kabelfernsehens das Angebot.[2] 98 Prozent aller US-amerikanischen Haushalte verfügten Ende der Neunzigerjahre über mindestens ein TV-Set, das im Tagesdurchschnitt sieben Stunden eingeschaltet war.[3] Das Fernsehen bildete somit das unangefochtene Leitmedium dieser Zeit, das als Informationsquelle dem neuen, aber auch undurchsichtigen Web vorgezogen wurde. Als sich am 11. September 2001 die Anschläge auf die Zwillingstürme in New York City ereigneten, empfahl die Google-Suche ihren Nutzern, für aktuelle Nachrichten den Fernseher oder das Radio einzuschalten, da Google zu diesem Zeitpunkt über keine nachrichtliche Infrastruktur verfügte, um seinen Nutzern zuverlässige Live-Updates zu den Geschehnissen in Downtown Manhattan liefern zu können.[4]

Fake oder Fakt?

Zugleich wurde die für die Massenmedien konstitutive Unterscheidung zwischen fiktionalen und dokumentarischen Inhalten durch das Aufkommen von digitalen (Post)-Produktionstechniken Mitte der Neunzigerjahre endgültig in Frage gestellt und damit gleichsam der Realitätsanspruch dokumentarischer Formate. Diese „Bedrohung des dokumentarischen Prinzips“ ist nach Seidler besonders deutlich am Beispiel der gefälschten Dokumentarfilme von Michael Born geworden, der seine Produktionen über frei erfundene Ereignisse, etwa über ein angebliches Neonazi-Treffen in der Eiffel (inkl. Ku-Klux-Klan-Mützen), erfolgreich an Infotainment-Formate wie SternTV und SpiegelTV verkaufte.[5] Born wurde daraufhin wegen Betrugs zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt. Bei der Urteilsverkündung kam der Vorsitzende Richter Ulrich Weiland auch auf die Verfehlungen der Medien zu sprechen und kritisierte die Gier nach Einschaltquoten und die mangelhaften redaktionellen Qualitätskontrollen.[6]

Die Neunzigerjahre markierten zudem den Siegeszug des Reality-TV, dessen Spiel mit Wahrheit und Fiktion bereits im Namen Anklang findet. Von Vera am Mittag über Arabella bis Britt – Talkshows, die die „echten“ Probleme „echter“ Menschen verhandelten, bescherten den Privatsendern bis ins neue Jahrtausend hinein zuverlässig hohe Einschaltquoten. Authentizität wird im Genre des Reality-TV als ästhetische Strategie lesbar, als eine Form emotionaler Überwältigung.[7] Die Trennlinie zwischen Wirklichkeit und Fiktion löste sich um die Jahrtausendwende vor allem in populären Sendungen wie Big Brother auf, die in Deutschland im Februar 2000 mit ihrer ersten Staffel startete. Der Medientheoretiker Boris Groys schrieb damals zur großen Popularität der Sendung:

Die Menschen sehen diese Sendung, weil diese Sendung sich selbst anklagt, weil sie sich ‚Big Brother‘ benennt, weil sie Manipulation offenlegt. Was die Menschen genießen, genauso wie bei der ‚Truman Show‘ oder bei ‚Matrix‘, ist die Selbstanzeigeerstattung des Mediums, die Rituale der Selbstentlarvung und der Selbstdemaskierung, die dort stattfinden.

Groys, S. 96

Das Fernsehpublikum begreift Groys demnach nicht als Opfer medialer Manipulation, sondern als Eingeweihte, die um die Falschheit des Gezeigten wissen und es trotzdem aus ironischer Distanz genussvoll rezipieren. Für einen solchen Rezeptionsmodus ist eine „willing suspension of disbelief“[8] erforderlich – also die Bereitwilligkeit, sich der Fiktion hinzugeben und bestimmte Aspekte hinsichtlich ihres Gemachtseins auszublenden. In der beliebten Fernsehserie The X-Files expliziert sich die suspension of disbelief auf einem Plakat, das im Büro des Verschwörungstheoretikers und FBI-Agenten Fox Mulder (David Duchovny) hängt. Darauf heißt es unter der prototypischen Abbildung eines UFOs als fliegende Untertasse: „I want to believe“ – Ich will glauben.

Schrecken als Medienereignis

Zeitgleich entdeckte das Fernsehen den Krieg als Medienereignis. Insbesondere der amerikanische Nachrichtensender CNN kultivierte in den Neunzigerjahren eine auf Infotainment ausgerichtete Kriegsberichterstattung von den Kriegsschauplätzen der Welt. Öffentlich gewordene Fälschungen, wie beispielsweise die berühmt gewordene Brutkastenlüge[9], demonstrierten dabei eindringlich die Manipulationsanfälligkeit der Massenmedien.[10]

Die viel beschworene ‚Macht der Bilder‘, das heißt letzten Endes deren Potenzial […]  Stimmungen und Meinungen zu beeinflussen, hatte die Deutungshoheit des geschriebenen Wortes in der Tageszeitung längst abgelöst. Gleichzeitig drang die Erkenntnis der prinzipiellen Manipulationsanfälligkeit dieser Bilder […] immer mehr in das kulturelle Bewusstsein des Massenpublikums.

Seidler, S. 262

Diese medialen Entwicklungsprozesse kulminierten in der Endlosberichterstattung vom 11. bis zum 13. September 2001, in der die „Bilder des Terrors in ihrer symbolischen Bildkraft in einen Terror der Bilder umzukippen“[11] drohten. Der Terrorakt wurde dabei zu einem Bildakt, zu einer Art theatralen Aufführung[12], die sich explizit auf die dritte Position richtete – nicht auf jene also, die an diesem Tag ihr Leben verloren, sondern auf das in Schock erstarrte Fernsehpublikum, das dabei aus den eigenen vier Wänden hilf- und machtlos zuschauen musste.[13]

Will Eisner, Reality 9/11

Die Bilder des Terrors

Der Anschläge vom 11. September demonstriertem laut dem Medienwissenschaftler Arthur Engelbert auf diese Weise eindrucksvoll die Existenz zweier Realitäten: einer physischen Realität, die auf eigener Anschauung und Erfahrung beruht und einer medialen Realität, die über ästhetisch-visuelle Verfahren vermittelt wird.[14] Mit Blick auf die Katastrophenbilder dieser medialen Realität erschienen die Bilder des Terrors wie die Umsetzung filmischer Vorbilder in die physische Realität – so oft war Manhattan im Hollywood-Spektakel schon zum Katastrophenschauplatz geworden und nahm die Anschläge dadurch ikonografisch vorweg[15]. Nicht zufällig kommentierte der RTL-Moderator Peter Klöppel den Einsturz des Nordturms und damit den vollständigen Kollaps des WTC in der Live-Berichterstattung folgendermaßen: „Das ist Armageddon, eine Einstellung eigentlich von einem Unglück wie man sie bisher nur aus Filmen kennt, wo man immer sagt, so etwas gibt es in der Realität überhaupt nicht und jetzt auf einmal ist diese Fantasie von Filmregisseuren tatsächlich Realität geworden.“[16]

In Emmerichs Sommerblockbuster Independence Day (1996) zerlegt es das Empire State Building durch eine futuristische Energiewaffe außerirdischer Invasoren, in Bays Armageddon (1998) wird New York von einem Meteoritenregen getroffen – und in einem Werbespot des deutschen Kommunikationsdienstleisters Telegate, der nur zwei Tage vor den Anschlägen im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde, sieht man auf prophetische Weise wie ein Linienflugzeug durch eine New Yorker Hochhausfassade kracht.[17]

In der Imagination Hollywoods und in der Imagination globaler Werbemacher waren die Anschläge längst denkbar geworden, ehe sie in die physische Realität derjenigen Menschen übersetzt wurde, die sie leibhaftig erfahren mussten. Ikonografisch erscheinen die Anschläge gleichsam als Remake[18], als ein Vollzug dessen, was in der Vorstellung des Kinos und seinem Publikum schon etliche Male durchgespielt worden war und genau darum eine seltsame Vertrautheit evozierte[19] – eine Vertrautheit mit den Bildern des Terrors, die man nicht nur sehen, sondern wiedererkennen konnte. 

Medien als Massenmanipulation

Diese unheimliche Vertrautheit mit den Bilderwelten der Anschläge findet sich auch in einer eigenen Kategorie von Verschwörungstheorien wieder, die unter dem Stichwort Predictive Programming firmieren. Diese „vorausschauende/voraussagende Programmierung“ beschreibt eine subtile Form der psychologischen Konditionierung, die die Massenmedien auf Veranlassung der Regierung (oder wahlweise anderer Führungseliten) bei ihrem Publikum durchführen, um dieses mit bevorstehenden, gesellschaftlichen Veränderungen oder Ereignissen vertraut zu machen, ehe diese eintreten. Aufseiten der Medien herrschte demzufolge ein detailliertes Vorwissen über die bevorstehenden Anschläge.[20]

Emmerich und Bay sind danach die Erfüllungsgehilfen einer globalen Elite, die die Zerstörung der Zwillingstürme fiktiv durchspielen und ästhetisch vorwegnehmen ließ, ehe sie diese tatsächlich umsetzte. Eigentlich, so die Schlussfolgerung solcher Theorie(n), dienten die Anschläge lediglich der von langer Hand geplanten Invasion in den Irak und/oder Afghanistan und/oder der Ausweitung der staatlichen Überwachung (siehe: Enemy of the State). Jede vage Andeutung aus der an Katastrophenbildern nicht gerade armen Fernseh- und Kinogeschichte wird im Rahmen des Predictive Programming zu einem Beweisbild, das die langgehegten Pläne unsichtbarer, aber umso mächtigerer Eliten rückwirkend sichtbar macht. Eine einzelne Einstellung aus der Fernsehserie The Simpsons wird so zu einem Beweis für die Verschwörung der ganzen Welt.

Der Sender BBC etwa vermeldete fälschlicherweise bereits ca. 20 Minuten vor dem Einsturz des Gebäudes WTC7 dessen Kollaps. Der entsprechende Mitschnitt der Live-Schalte aus New York dient innerhalb von Verschwörungstheorien als Hinweis auf ein detailliertes Vorwissen über die Ereignisse bei der BBC.

Seidler, S. 264

In der Unübersichtlichkeit der Ereignisse, in der gleichermaßen wirkmächtigen Panik vor dem Terror und der Panik, etwas zu verpassen, produzierten die Medien Missverständnisse und Falschinformationen, die erst zu Gerüchten führten und sich von dort aus zu ganzen Verschwörungstheorien auswuchsen. Die Wissenslücken, die die etablierten Massenmedien in den Stunden und Tagen nach den Anschlägen ließen, wurden zum Nährboden für konspiratives Denken und alternative Erklärmodelle in den unbegrenzten Räumen des Web.  

Die CIA und das Crack

Das Internet bildete in der Folge eine Form der digitalen Gegenöffentlichkeit, die auch von etablierten, journalistischen Institutionen genutzt wurde. 1996 veröffentlichte der Journalist Gary Webb auf der Webseite der San Jose Mercury News eine dreiteilige Artikelserie mit dem Titel Dark Alliance – The Story behind the Crack Explosion[21], in der dieser den amerikanischen Auslandsgeheimdienst CIA bezichtigt, an Drogengeschäften von nicaraguanischen Gangs in Los Angeles beteiligt zu sein. Zur visuellen Unterstützung des Artikels war auf der Internetseite der Zeitung ein Bild zu sehen, dass die CIA-Insignien und einen Crack-rauchenden Mann zeigte.[22]

„Webbs Serie war eine publizistische ‚Bombe‘, die nicht nur eine Art staatlich organisierter Verschwörung, sondern auch das Internet als Enthüllungsplattform populär machte“[23], schreibt Seidler. Zudem erwies sich der digitale Raum als ideales Distributionssystem von fast grenzenloser Reichweite. Über mehrere Wochen hinweg bescherte die Artikelreihe der Webseite der Mercury News schätzungsweise 200.000 zusätzliche Klicks pro Tag.[24] „Gary Webb wurde infolge zu einer Art Ikone wider Willen unter Anhängern von Verschwörungstheorien, hatte sein Fall doch die Logik verschwörungstheoretischer Erzählungen mustergültig bestätigt.“[25]

Auf die Veröffentlichung der Artikel folgten Untersuchungen des Senate Intelligence Committee, des CIA, der Polizei von Los Angeles sowie investigative Recherchen durch die Washington Post, die Los Angeles Times und die New York Times, wobei keine Beweise für die behaupteten Kausalzusammenhänge zwischen den Contras und der CIA in der Verbreitung von Crack in L.A. gefunden worden sind.[26] Der Herausgeber der Mercury News ruderte daraufhin zurück und die Insignien der CIA verschwanden wieder von der Webseite der Zeitung.[27]

Webb wurde infolge massiver, öffentlicher Angriffe schließlich entlassen, woraufhin für den Journalisten Jahre der Arbeitslosigkeit folgten. Diese nachfolgenden Entwicklungen sowie Webbs späterer Suizid durch zwei Kopfschüsse[28], sorgten für neue Verschwörungstheorien und bestätigten diejenigen Leser, die ohnehin schon in einem skeptischen Verhältnis zum etablierten Mediensystem standen. „Der Fall Dark Alliance bildete somit praktisch eine handfeste Blaupause für die Idee vom Internet als anti-konspirativer Enthüllungsplattform und zensurfreiem Medium von Gegenöffentlichkeit“[29] – eine Gegenöffentlichkeit, die sich besonders durch die enorme Geschwindigkeit auszeichnete, in der sie Informationen aufnehmen und weiterverbreiten konnte.

Die Welt im Browserfenster

Während man vom Tode Dianas noch über das Fernsehen erfahren hatte, kursierten Gerüchte über die Bill Clinton-Affäre bereits Tage vor den ersten Fernseh- und Zeitungsberichten in diversen Internertforen. 1998 zeichnete sich somit ein Medienbruch ab, der sich zugunsten des Internets auswirken sollte.[30] Die traditionelle Wächterfunktion der Medien wurde durch das World Wide Web und seine grundlegenden Strukturprinzipien jedenfalls ausgehebelt: es war theoretisch jeder Person zugänglich und es war schneller als es das Fernsehen, das Radio oder die Printmedien je gewesen waren und je sein könnten. Das machte das Netz auch für heterodoxes Wissen und alternative Wissensangebote attraktiv.

„Die Bedeutungslogik von Verschwörungstheorien entspricht dem Ordnungsprinzip des World Wide Web“[31], schreibt der Amerikanist Michael Butter. Im Netz, im sogenannten globalen Dorf, verdichtet sich das Weltgeschehen auf ein Browserfenster. Die großen Ereignisse sind nur noch wenige Klicks voneinander entfernt und die Echokammer spielt zurück, was man ihr an Vorstellungen, Sehnsüchten, Vorurteilen und Träumen einspeist. Im virtuellen Raum ließ sich plötzlich für jeden Topf ein Deckel finden, für jede Theorie ein Abnehmer, für jedes Weltereignis eine alternative Antwort auf die Umstände, die es begleiteten. Wo bei The Truman Show (1998) noch das Fernsehen als „der heimliche Regisseur der Wirklichkeit“[32] fungierte, sitzt im Netz der User im Regiestuhl und wird zum Programmplaner seiner eigenen Wirklichkeit.

Die Ironie der Postmoderne

Zeitgleich mit dem Aufkommen digitaler Medien und der Neuausrichtung des Fernsehprogramms, veränderte sich auch das Kino. Bereits in den Achtzigerjahren geführte Debatten um dem sogenannten „postmodernen Film“ nahmen zu, ebenso die Verwirrung um diesen oft diskutierten und ebenso oft missverstandenen Begriff. Diese Begriffsverwirrung veranlasste den finnischen Regisseur Aki Kaurismäki einmal zu folgender Aussage:  

lch habe dieses Wort gebraucht, doch ich verstehe es nicht. Ich habe die letzten fünf Jahre versucht, seine Bedeutung zu begreifen, aber es ist mir nicht gelungen. […] Was bedeutet dieses Wort? Sagt ihr es mir.

Kaurismäki, A.: zitiert in: Eder, S. 9

Laut dem Medienwissenschaftler Jens Eder ist die filmische Postmoderne vor allem durch eine ausgeweitete intertextuelle[33] Verweisstruktur gekennzeichnet. Dieses Mehr an intertextuellen Verweisen (auf andere Filme oder auch Texte generell) sei durch ein allgemeines Mehr an Freizeit in den westlichen Industriegesellschaften und der verstärkten Auseinandersetzung des Publikums mit Populärkultur zu erklären. Dabei dient nicht mehr in erster Linie ein bildungsbürgerlicher Kanon als Referenz- und Zielpunkt solcher Verweise, sondern mehrheitlich zuvor geringgeschätzte Sparten wie Horror, B-Film, Martial Arts oder Videospiele. Das Mainstream-Kino öffnete sich damit für neue Bedeutungskontexte.[34]

Der vorherrschende Modus dieses neuen, für Populärkultur offenen Verweiskinos ist einer der Ironie: „Typisch ist […] eine ironische Haltung, die ein Gefühl der wissenden Überlegenheit gegenüber dem Zitierten vermittelt und ein Einverständnis, eine Komplizenschaft zwischen Zuschauern und Erzählinstanz herzustellen sucht.“[35] Der Schriftsteller David Foster Wallace sah die Vorherrschaft der Ironie als Stilmittel in Literatur und Kultur besonders kritisch. In einem Interview mit dem Literaturkritiker Larry McCaffery erklärte er:

Irony’s useful for debunking illusions, but most of the illusion-debunking in the U.S. has now been done and redone. […] All we seem to want to do is keep ridiculing the stuff. Postmodern irony and cynicism’s become an end in itself, a measure of hip sophistication and literary savvy. Few artists dare to try to talk about ways of working toward redeeming what’s wrong, because they’ll look sentimental and naive to all the weary ironists. Irony’s gone from liberating to enslaving.

McCaffery, Larry (1993)

Ironie hinterlässt immer eine Leerstelle dort, wo sie Konventionen einreißt. Doch sie gibt keine Antwort darauf, was stattdessen an ihren Platz treten soll. So wie ein Vorschlaghammer keine Hilfe dabei ist, eine neue Mauer hochzuziehen, nachdem die alte demoliert worden ist, so wenig ist die Ironie dazu geeignet, neuen Sinn zu schaffen, wo sie ihn zuvor genommen hat. Die Frage lauetet also: was tritt an die Stelle der alten Konventionen? Oder: was kommt nach der Ironie?

Ästhetische Zweideutigkeit

Zugleich sind im postmodernen Film dekonstruktive Erzählverfahren und eine grundlegende Anti-Konventionalität zu beobachten, die sich im Ausstellen von Anleihen und Erzählmustern zeigen; eine Art demonstrierter Künstlichkeit, schwankend zwischen Ironie und Identifikation.[36] Dem postmodernen Film kann mit dem Kulturwissenschaftler Hans-Otto Hügel also eine ästhetische Zweideutigkeit attestiert werden, die sich in der Schwebe zwischen Ernst und Unernst zeigt.[37] Dabei kommen einem beispielsweise die Filme von Quentin Tarantino in den Sinn, der seine Arbeitsweise einmal selbst pointiert auf den Satz verkürzte: „I steal from every movie ever made.“ Gerade weil sich dessen Filme stets explizit in einer filmischen Traditionslinie verorten, bringen sie durch die Neuanordnung und Neuverfremdung filmischer Vorbilder diese neu zur Aufführung – schwebend zwischen „Gewöhnlichem und Erhabenen“.[38]

In Analogie zur DJ-Kultur der Neunzigerjahre könnte man dabei von einer Art filmischen remix-culture sprechen. Diese Kultur wird beispielsweise vom YouTuber Kirby Ferguson in seiner Everything is a Remix-Videoreihe und seinem TED-Talk seit Jahren aufgegriffen.[39] In Fergusons Videos wird nicht nur die intertextuelle Verweisstruktur populärer Filme sichtbar, sondern auch das rezeptive Erleben dieser Verweisketten und die ästhetische Erfahrung der Assoziation durch die Mittel der Montage sinnlich erfahrbar gemacht. Das popkulturelle Überangebot, das den einzelnen Produkten ja bereits immanent ist (ein Film verweist auf einen anderen), lässt sich nach Eder daher auch Zeit-diagnostisch fassen:

Mit Möglichkeit und Zwang der Wahl hängt ein weiteres Charakteristikum unserer Zeit [gemeint ist die Jahrtausendwende] zusammen: das zumindest unterschwellig verbreitete Bewusstsein, dass die Art, wie man selbst ist, wie man lebt und erlebt, durch Situation, Gesellschaft, Kultur geformt, also eine kontingente Konstruktion ist. Dieses Bewusstsein verstärkt das Mißstrauen in den Schein, alles sei wirklich so, wie man es erfährt.

Eder, S. 38

Der Zuschauer als Doppelagent

In der Informationsflut der hedonistischen Erlebnisgesellschaft, die die Neunzigerjahre vielleicht nicht hervorgebracht, aber mit dem Ende des Kalten Krieges endgültig enthemmt hat, ist der Wunsch nach Kontingenzbewältigung (Kontingenz bezeichnet vereinfacht gesagt das Mögliche, Zufällige, Unvorhersehbare) und Orientierung laut Eder ein ausgeprägtes Bedürfnis.[40] In dieser Orientierungslosigkeit wird der Staatsbürger zum Doppel- oder Dreifachagenten, der im unüberschaubaren Netz der „Geheimdienste“ den Überblick über die eigenen Ziele und die eigenen Loyalitäten verloren hat. Er wird in der Folge zum Spielball von Kräften, die er nicht mehr lokalisieren kann.[41]

Die Angst vor Verschwörungen und das Entstehen von Verschwörungstheorien sind fast zwangsläufige Konsequenzen einer Befindlichkeit, in der das Subjekt angesichts von Kontingenz und einer zunächst undurchschaubaren gesellschaftlichen und politischen Realität nach Kausalität und Orientierung sucht und sich bemüht, mit rationalem Denken die Unübersichtlichkeit der Welt zu ordnen und zu verstehen, dem Zufälligen und Vieldeutigen dabei aber keinen Stellen- und Erklärungswert mehr einräumt.

Hurst, S. 240

Wer davon ausgegangen war, dass das Mehr an Information, das durch das etablierte Massenmedium Fernsehen und das neu entstandene Medium Internet bereitgestellt und in Umlauf gebracht wurde, auch zu einem Mehr an Aufklärung führen würde, saß einem Irrglauben auf, der schon in der Vergangenheit enttäuscht worden war. So fiel eine Hochphase des Verschwörungsdenkens doch ausgerechnet in die Epoche der Aufklärung: „das Zeitalter der Vernunft generiert[e] eine Verschwörungskultur, die sich in politischen und künstlerischen, in gelehrten und auch populären Diskursen präsentiert[e]“[42], schreibt der Literatur- und Filmwissenschaftler Matthias Hurst. Von der französischen Aufklärung bis zu den totalitären Eskapaden des 20. Jahrhunderts bestimmten Verschwörungsideologien das Denken und Handeln der führenden politischen Klasse, die auf fatale Weise das feindliche Andere markierten – wahlweise als Jude, als Kapitalist oder Kommunist, als Homosexueller oder Andersgläubiger – aber immer mit den denselben, zerstörerischen Folgen.

Die Rolle der Medien

Gerade die Massenmedien befreien den Verschwörungsdiskurs dabei ironischerweise aus seinem Schattendasein und tragen zur Popularisierung kontroverser Wissensbestände bei – Film und Fernsehen bilden dabei keine Ausnahme. In ihrer medialen Repräsentationsweise von Verschwörungsthemen üben sich diese jedoch in einem dialektischen Seiltanz, so kann der Einfluss der Massenmedien Verschwörungstheorien als heterodoxes Wissen nicht nur dekonstruieren und isolieren, sondern gleichfalls – ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt – in orthodoxes Wissen verwandeln.[43] Wenn nun also in einer breit rezipierten TV-Sendung oder einem Kinofilm von Echsenmenschen[44] die Rede ist, die in mehr oder minder glaubwürdige Menschenkostüme gezwängt, heimlich die Geschicke der Welt lenken, dann kann diese Erwähnung Verschwörungstheorien dieser Art nützen, aber auch genauso gut schaden. 

Die Popularisierung heterodoxen Wissens kann zu einer Nivellierung des aufklärerischen Gestus führen, mit dem Verfechter alternativer Erklärungsangebote oftmals antreten. Die Verschwörungstheorie muss abseitig bleiben, um den Eindruck von Exklusivität zu wahren. Wenn Verschwörungstheorien, die sonst in Gruppenchats, Blogs und YouTube-Videos verbreitet und diskutiert werden, plötzlich Bestandteil eines Blockbusters werden, scheinen dieselben Theorien im Licht der Öffentlichkeit an Strahlkraft einzubüßen. Teil des Selbstverständnisses von Verschwörungsgläubigen ist es schließlich, eben nicht Mainstream zu sein, sondern Avantgarde – eben nicht das zu sehen und zu denken, dass die anderen denken, sondern eigeständig die Fassade der Welt auf Bruchpunkte von Wirklichkeit zu überprüfen. Zu viel Zustimmung verdirbt den Verschwörungsspaß, denn der Verschwörungstheoretiker braucht die Gegenposition des Orthodoxen, Bekannten, Etablierten und Akzeptierten, um seinerseits Profil zu gewinnen.

Verschwörungstheorie als Filmkritik 

„Verschwörungsdenken ist gewissermaßen ein Baustein der postmodernen Befindlichkeit, die beharrlich zwischen Verzweiflung und Ironie, zwischen Zynismus und Hysterie, zwischen Bedrohung und Heilserwartung schwankt“[45]. Verschwörungstheorien sind demnach Teil postmoderner Kultur, die zunächst aus der gesellschaftlichen Realität heraus in die kollektiven Vorstellungswelten einwandern und sich dann in Produkten wie dem Spielfilm sichtbar machen, wobei die Grenzziehung zwischen Realität und Fiktion zunehmend schwerer fällt. Verschwörungstheorien liegt eine narrative Konzeption zugrunde, die darauf abzielt, disparate Phänomene aufeinander zu beziehen, um dadurch Kohärenz zu erzeugen und folgt damit „den Mechanismen einer sinnstiftenden Erzählung“.[46]

Gerade der Rückgriff auf fiktionale Bausteine macht die Verschwörungstheorie dabei sinnhaft. Es ist kein Zufall, dass die Auseinandersetzung mit Verschwörungstheorien seitens des Verschwörungstheoretikers oftmals über popkulturelle Referenzen erfolgt. Filme und Serien dienen dabei nicht nur als Stichwortgeber, sondern oft als unmittelbare Kronzeugen der behaupteten Verschwörung. So wie die bereits erwähnte Einstellung aus The Simpsons ein detailliertes Vorwissen seitens der Macher über die bevorstehenden Anschläge des 11. Septembers beweisen soll.

Film- und Kinokultur nehmen dabei jedoch eine äußerst ambivalente Rolle ein. Mal sind die Medienmacher Mitwisser und Mittäter in der Verschwörung einer ominösen Elite, mal selbst das Epizentrum der Gegenaufklärung, wobei semiotisch dekodierte Filmsequenzen deren Allianz mit der Verschwörungscommunity bezeugen sollen. Besonders der Suche und Dekodierung von versteckten Symbolen kommt in der verschwörungstheoretischen Filmkritik eine Sonderrolle zu. So wie man in historischen Fotografien in aller Regelmäßigkeit die Insignien heimlicher Weltenlenker entdeckt haben will, dienen Einzelszenen und Dialogausschnitte als Beweismittel für die eigenen Theorien.

Im Netz finden sich unzählige Beispiele für diese sehr spezifische Form der Film- und Medienanalyse. Von Blogs wie Illuminati Watcher und dem dazugehörigen Podcast Conspiracy Theories and Unpopular Culture[47] bis zu populären YouTubern wie Shane Dawson, dessen Videoreihe zu Verschwörungstheorien regelmäßig ein Millionenpublikum erreicht. Die professionell produzierten Videos, in denen Dawson als Host fungiert, decken dabei eine große Bandbreite verschwörungstheoretischer Evergreens ab: von Kindern, die durch Cartoons angeblich subliminale Suizidbotschaften gesendet würden, damit Big Pharma seine Antidepressiva verkaufen kann über kalifornische Waldbrände, die angeblich durch Direkt-Energie-Waffen (Laser) des US-Militärs verursacht werden bis zum eingefrorenen Kopf Walt Disneys, dessen Existenz angeblich vertuscht werden soll, indem man den Animationsfilm Frozen produzierte (damit bei der Google-Suche der Film auftaucht, wenn man die Keywords „Disney“ und „frozen“ eintippt und nicht der Kopf des Konzernschöpfers).[48]

Ein unbefriedigendes Fazit

Was also mit diesen Informationen anfangen? Wie umgehen mit Verschwörungstheorien und jenen, die sie verbreiten? Ich habe keine Antwort darauf, die mich selbst vollends befriedigt. Zunächst möchte ich festhalten: Verschwörungstheorien sind natürlich keine Theorien – sie sind Geschichten. Sie funktionieren nach den Gesetzmäßigkeiten einer sinnstiftenden Erzählung. Der oft diskutierte und viel zu oft stigmatisierend verwendete Begriff[49] der Verschwörungstheorie ist darum fehlgeleitet – er war es schon immer. Er könnte zu der irrigen Annahme verleiten, diese basierten auf wissenschaftlichen oder skeptischen Verfahrensweisen – doch das tun sie nicht. Sie appellieren nicht an den Menschen als Verstandeswesen – sie appellieren an den homo narrans, den Menschen als erzählendes Wesen. Sie appellieren nicht an unseren Verstand, sie appellieren an unsere Gefühle.

Wir erzählen uns Geschichten, um die Welt und unsere Rolle darin besser zu verstehen. Wir erzählen uns Verschwörungstheorien aus denselben Motiven. Der oft geforderte Diskurs mit Verschwörungstheoretikern ist darum ebenso fehlgeleitet wie der Begriff selbst. Der faktenbasierte Diskurs ist grundsätzlich der falsche Modus der Auseinandersetzung. Das ist so wie mit einem Löwen über dessen Fleischkonsum diskutieren zu wollen – er kann dich nicht verstehen! Wer mit Verschwörungstheoretikern diskutieren will, sollte nach Gefühlen fragen, denn sie gebären die Bedürfnisse, die das Verschwörungsdenken schließlich befriedigt.

Die Rolle des Kinos in dieser Auseinandersetzung ist ebenso ambivalent wie die Rolle der Medien historisch ausgefallen ist. Es kann zum Brandbeschleuniger für gegenaufklärerisches, pseudoskeptisches Denken werden, aber auch genauso gut zum Schauplatz einer intermedialen Reflexion, die im Kino als Institution seit jeher angelegt ist. Durch das Spiel mit Erzählperspektiven können uns Filme eindrücklich aufzeigen, in welcher Weise die Welt durch unsere Wahrnehmung geprägt ist – wie wir nicht bloß unsere Wahrnehmungen interpretieren, sondern bereits unsere Wahrnehmung selbst Interpretationen beinhaltet. Zugleich können uns Filme zeigen, wie leicht wir zu manipulieren sind und wie weit die blinden Flecken unserer Wahrnehmung klaffen. Es liegt an uns, zu entscheiden, wie wir mit diesen blinden Flecken in Zukunft umgehen wollen. Ein Anfang könnte bereits darin liegen, nicht immer so verdammt sicher zu sein.

If you’re automatically sure that you know what reality is, and you are operating on your default setting, then you, like me, probably won’t consider possibilities that aren’t annoying and miserable. But if you really learn how to pay attention, then you will know there are other options. It will actually be within your power to experience a crowded, hot, slow, consumer-hell type situation as not only meaningful, but sacred, on fire with the same force that made the stars: love, fellowship, the mystical oneness of all things deep down.

David Foster Wallace – This Is Water

Einzelnachweise:
[1] Seidler, John David (2016): Die Verschwörung der Massenmedien – Eine Kulturgeschichte vom Buchhändler-Komplott bis zur Lügenpresse. Bielefeld: transcript Verlag. S. 249-250
[2] Butter, Michael (2018): Nichts ist, wie es scheint. Über Verschwörungstheorien. Berlin: Suhrkamp Verlag. S. 194
[3] Stephens, Mitchell: Grolier Encyclopedia.  >https://stephens.hosting.nyu.edu/History%20of%20Television%20page.html<
[4] Butter, S. 254-255
[5] Seidler, S. 257
[6] Klingelschmitt, Klaus-Peter (1996): Echt: TV-Fälscher soll vier Jahre büßen. In: taz. die tageszeitung, Ausgabe 5112. >https://taz.de/!1421989/<
[7] Seidler, S. 258
[8] Koch, Jonas (2015): Erklären und Verstehen fiktionaler Filme. Semantische und ontologische Aspekte. Münster: mentis Verlag. S. 67.
[9] Die Brutkastenlüge bezeichnet die Behauptung der Kuwaiterin Nayirah as-Sabah vor dem Menschenrechtskomitee des US-Kongresses am 10. Oktober 1990 im Zuge der Invasion Kuwaits im Jahre 1990 irakische Soldaten gesehen zu haben, die in einem Krankenhaus Frühgeborene aus ihren Brutkästen genommen und auf dem Boden geworfen hätten. Erst nach der US-Intervention in Kuwait stellte sich heraus, dass diese Behauptung von einer US-amerikanischen PR-Agentur im Auftrag der kuwaitischen Exil-Regierung lanciert worden war und es sich beim damals 15jährigen Mädchen um die Tochter des kuwaitischen Botschafters in den USA gehandelt hatte. Vgl. Stauber, John, Sheldon Rampton (2002): Toxic Sludge Is Good For You. Lies, Damn Lies and the Public Relations Industry. Monroe, ME: Common Courage Press. S. 83-86. In Auszügen gelesen auf: >https://www.prwatch.org/books/tsigfy10.html<
[10] Seidler, S. 260-261
[11] Weichert, Stephan A. (2006): Die Krise als Medienereignis: Über den 11. September im deutschen Fernsehen. Köln: Herbert von Halem Verlag. S. 25. Zitiert nach Seidler, S. 262
[12] Wetmore, Kevin J.: (2012) Post-9/11 Horror in American Cinema. New York, London: The Continuum International Publishing Group. S. 10
[13] Paul, Gerhard (2013): BilderMACHT. Studien zur Visual History des 20. und 21. Jahrhunderts. Göttingen: Wallstein Verlag. S. 567
[14] Arthur Engelbert (2011): Global Images. Eine Studie zur Praxis der Bilder. Bielefeld: transcript Verlag. S. 13. Zitiert nach Paul, S. 568
[15] Vgl. Paul, S. 574
[16] https://www.youtube.com/watch?v=KW0P_Xrkmuo&t=1863s, ab 31:15 Std
[17] https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2001/Schmusebilder-statt-Actionszenen-Werbung-nach-dem-Terror,erste7474.html | Video: https://www.youtube.com/watch?v=3_ZVs5m01Qo
[18] Vgl. Paul, S. 575
[19] Vgl. Paul, S. 571
[20] Beaver, Dahria (2018): Predictive Programming. The Ohio State University. >https://u.osu.edu/vanzandt/2018/04/18/predictive-programming/<
[21] Laut Webb hatte die CIA Kenntnis davon, dass nicaraguanische Contras in Los Angeles Drogengeschäfte betrieben, hinderten diese jedoch nicht an ihren Umtrieben, da es im Interesse des Geheimdienstes lag, dass die dort erwirtschafteten Finanzmittel in den Guerilla-Krieg in Nicaragua zurückflossen, wo die Konterrevolutionäre (Contras) die sozialistische Regierung bekämpften. CIA-Agenten hätten sich laut Webb in der Vergangenheit mit den Drogenhändlern getroffen und seien dadurch zu ihren Komplizen geworden; zudem hätten sie durch ihr Nichthandeln zur Verbreitung des Kokain-Derivats Crack im Raum von Los Angeles indirekt beigetragen. Vgl. Seidler, S. 270.
[22] Die originale Fotomontage, die auch obenstehend abgebildet ist, ist hier aufrufbar: Devereaux, Ryan (2014): How the CIA Watched Over the Destruction of Gary Webb, The Intercept, 25. September, 2014. >https://theintercept.com/2014/09/25/managing-nightmare-cia-media-destruction-gary-webb/<
[23] Seidler, S. 270
[24] Pipes, Daniel (1997): Conspiracy: How the Paranoid Style Flourishes and Where It Comes From. New York City: The Free Press. S. 200
[25] Seidler, S. 271
[26] Hier weichen die Einschätzungen verschiedener Autoren voneinander ab. Entscheidend scheint mir zu sein, dass die Artikelreihe Dark Alliance selbst keine Verschwörungstheorie darstellt und dass weiten Teilen von Webbs Recherchen nicht widersprochen wird. Ein abschließendes Urteil über diesen komplexen Fall möchte ich mir daher nicht erlauben.
[27] Seidler, S. 4-5
[28] Daunt, Tina: Written in Pain. Los Angeles Times, 16. März, 2005. >https://www.latimes.com/archives/la-xpm-2005-mar-16-et-webb16-story.html<
[29] Seidler, S. 271
[30] Vgl. Seidler, S. 272
[31] Butter, S. 180
[32] Seidler, S. 259
[33] Julia Kristeva erklärt Intertextualität folgendermaßen: „jeder Text baut sich als Mosaik von Zitaten auf, jeder Text ist Absorption und Transformation eines anderen Textes.“ Kristeva, Julia (1972): Bachtin, Das Wort, der Dialog und der Roman. In: Literaturwissenschaft und Linguistik, Band 3: Zur linguistischen Basis der Literaturwissenschaft, hrsg. Jens Ihwe. Frankfurt/M: Athenäum Fischer Taschenbuch Verlag. S. 348
[34] Eder, S. 12-13
[35] Ebd. S. 16
[36] Vgl. Eder, S. 21-22
[37] siehe: Hans-Otto (1993): Ästhetische Zweideutigkeit der Unterhaltung. Eine Skizze ihrer Theorie. In: montage AV. Zeitschrift für Theorie und Geschichte audiovisueller Kommunikation, Jg. 2, Nr. 1. Marburg.
[38] Seeßlen, Georg (2016): Wie Quentin Tarantino das Kino neu erfand. Getidan, 21. Januar, 2016. >http://www.getidan.de/kolumne/georg_seesslen/72082/wie-quentin-tarantino-das-kino-neu-erfand<
[39] Ferguson, Kirby (2016): Everything is a Remix Remastered (2015 HD). YouTube-Kanal „Kirby Ferguson“, 16. Mai, 2016. >https://www.youtube.com/watch?v=nJPERZDfyWc<. 37 Min. Video. | Ferguson, Kirby (2012): Creativity is a Remix. YouTube-Kanal „TED“, 10. August, 2012. >https://www.youtube.com/watch?v=zd-dqUuvLk4<. 9 Min. Video.
[40] Eder, S. 38-39
[41] Hurst, Matthias (2014): Verschwörungen und Verschwörungstheorien im Film. In: Konspiration. Soziologie des Verschwörungsdenkens, hrsg. Anton, Andreas, Michael Schetsche. Wiesbaden: Springer Fachmedien. S. 240
[42] Ebd. S. 241
[43] Ebd. S. 243-244
[44] John Carpenters They Live! weist übrigens einige Parallelen zur Reptiloiden-Theorie auf, die der englische Antisemit David Icke seit Ende der Neunzigerjahre popularisiert hat.
[45] Hurst, S. 242
[46] Ebd. S. 245-246
[47] In einer Podcastfolge zu The Truman Show heißt es: „Truman represents the true man waking up. He is the initiative of the occult putting the esoteric practices into order. Know the concept? This one of the big ones I’m gonna talk about throughout this analysis. Themes of mass-population control. It’s a system, right? We all know this as good concpiracy-believing folks. Mass-population-control is what it’s all about. If you don’t think they – they being the illuminati I guess, the big umbrella organization that controls everything – if you don’t believe they have an interest in creating reality and telling you what to think and do, as a means of control, as a means of enabling their lifestyle, then you better start at episode one, buddy. You better wake up.“

[48] Dawson, Shane: (2019) Conspiracy Theories with Shane Dawson. YouTube-Kanal „shane“, 30.01.2019. >https://www.youtube.com/watch?v=BHLBaOASC74<
[49] Zum alternativen Begriff des Verschwörungsmythos: Die Kulturwissenschaftlerin Ruth Groh schrieb über Verschwörungstheorien: „In ihrer sinnstiftenden und handlungsorientierenden Funktion bilden sie ein Analogon zum Mythos, zur Religion und zu jedweder Ideologie.“ Groh, Ruth (2001): Verschwörungstheorien und Weltdeutungsmuster. Eine anthropologische Perspektive. In: Verschwörungstheorien: anthropologische Konstanten – historische Varianten. Osnabrück: fibre Verlag, S. 38. Claude Levi-Strauss, der Vater des ethnologischen Strukturalismus, schrieb über den Mythos: „In Mythen werden Widersprüche und Ungerechtigkeiten, die in der Lebenspraxis nicht aufgelöst werden können, auf symbolische Art und Weise gelöst.“ Auf ähnliche Weise löst die Verschwörungstheorie Ambivalenzen und Dissonanzen auf, indem sie eigentlich disparate Ereignisse aufeinander bezieht und sie miteinander kohärent macht. Vgl. Lévi-Strauss, Claude (1967): Die Struktur der Mythen. In: Ders.: Strukturale Anthropologie, Band I. Frankfurt/M: suhrkamp. S. 230

Quellen:
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Butter, Michael (2018): Nichts ist, wie es scheint. Über Verschwörungstheorien. Berlin: Suhrkamp Verlag.
Daunt, Tina: Written in Pain. Los Angeles Times, 16. März, 2005. >https://www.latimes.com/archives/la-xpm-2005-mar-16-et-webb16-story.html<
Dawson, Shane (2019): Conspiracy Theories with Shane Dawson. YouTube-Kanal „shane“, 30.01.2019. https://www.youtube.com/watch?v=BHLBaOASC74
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Paul, Gerhard (2013): BilderMACHT. Studien zur Visual History des 20. und 21. Jahrhunderts. Göttingen: Wallstein Verlag.
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Seidler, John David (2016): Die Verschwörung der Massenmedien – Eine Kulturgeschichte vom Buchhändler-Komplott bis zur Lügenpresse. Bielefeld: transcript Verlag.
Seeßlen, Georg (2016): Wie Quentin Tarantino das Kino neu erfand. Getidan, 21. Januar, 2016. >http://www.getidan.de/kolumne/georg_seesslen/72082/wie-quentin-tarantino-das-kino-neu-erfand<
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Stephens, Mitchell: Grolier Encyclopedia.  >https://stephens.hosting.nyu.edu/History%20of%20Television%20page.html<
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Weichert, Stephan A. (2006): Die Krise als Medienereignis: Über den 11. September im deutschen Fernsehen. Köln: Herbert von Halem Verlag.
Wetmore, Kevin J. (2012): Post-9/11 Horror in American Cinema. New York, London: The Continuum International Publishing Group.


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